Wir haben mehrere Berichte zur Kramerspitze (1985m) in den Ammergauer Alpen:

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Blick vom Mittageck auf den Kieneckspitz.

Was lange währt, wird endlich gut

Die Kienjoch-Überschreitung


13. August 2017 • Autor: red.


Übersicht

Dieser Bericht beschreibt die Überschreitung des Kienjoch-Kamms im Ammergebirge. Unsere Wanderung beginnt im Lindertal bei Graswang und führt uns von dort über Schleichwege zunächst hinauf zum Mittageck. Von dort aus folgen wir dem Kammverlauf und besteigen dabei neben dem Kieneckspitz auch schon bald das Kienjoch. Nachdem wir kurz darauf auch noch den Geißsprüngkopf bestiegen haben, kehren wir über die Kuhalm und den Kühalpenbach wieder zurück nach Graswang.

Schwierigkeit: T4, UIAA IGPS-Route: DownloadWanderkarte: Kompass 5

Eine Chronologie des Scheiterns

Die Kienjoch-Überschreitung: Schon seit einer ganzen Weile steht diese klassische Gratwanderung im Ammergebirge – bei der mit dem Mittageck (1855m), dem Kieneckspitz (1943m), dem namensgebenden Kienjoch (1953m), und dem Geißsprüngkopf (1934m) gleich vier Gipfel bestiegen werden – ganz weit oben auf meinem Wunschzettel. Doch trotz mehrerer Anläufe wollte mir eine erfolgreiche Traverse des selten begangenen Bergkamms bisher nicht gelingen.

07. August 2015: Kurz vor Mitternacht breche ich von Farchant aus auf, um im Ammergebirge auf Gipfeljagd zu gehen. Zunächst läuft alles nach Plan, und ich sacke neben dem Schafkopf (1380m) auch das Brünstlkreuz (1734m), den Brünstlkopf (1814m), den Großen Zunderkopf (1895m), und den Vorderen Felderkopf (1928m) ein. Gerne würde ich meine Wanderung noch ausdehnen und den restlichen Kamm samt Kienjoch (1953m) überschreiten, doch in der gnadenlosen Augusthitze gehen meine Wasserreserven schon bald zur Neige. Nach der Besteigung des Felderkopf (1818m) breche ich meine Wanderung notgedrungen ab und kehre zurück ins Loisachtal.

Der Blick vom Großen Zunderkopf zum Kienjoch-Kamm.

Bereits seit dem Sommer 2015 spukt mir der Kienjoch-Kamm im Kopf herum.

03. Oktober 2015: Zwei Monate später werden meine Pläne für die Kienjoch-Überschreitung konkreter. Von Graswang starte ich weit vor Sonnenaufgang, um über das gesamte Kramermassiv hinweg bis nach Garmisch-Partenkirchen zu wandern. Diesmal macht mir nicht der Wasserhaushalt, sondern die Wegfindung einen Strich durch die Rechnung. In der Dunkelheit verpasse ich die richtige Abzweigung und lande nicht am Kamm, der über das Kienjoch (1953m) führt, sondern im Kühalpenbachtal. Zwar setze ich meine Durchquerung der Kramergruppe fort, und sacke dabei noch den Windstierlkopf (1824m), das Krottenköpfel (1780m), und den Hirschbichel (1935m) ein, doch das Kienjoch und seine Nachbargipfel bleiben mir erneut verwehrt.

15. Dezember 2016: Ein Jahr später unternehme ich mit einem Bekannten den nächsten Versuch. Obwohl wir diesmal auf Anhieb die richtige Abzweigung finden, müssen wir kurz vor dem ersten Gipfel unsere Tour abbrechen. Mein Begleiter kämpft auf einmal mit Symptomen einer Magen-Darm-Grippe. Nachdem er sich bereits mehrmals übergeben hat und immer langsamer wird, brechen wir die Überschreitung sicherheitshalber ab. Im letzten Licht des Tages erreichen wir wieder das Lindertal.

Das Mittageck im Winter.

Unser winterlicher Überschreitungsversuch scheiterte kurz vor dem Mittageck.

Ein neuer Morgen im Lindertal

Nun wage ich mit zwei Begleitern also den nächsten Versuch. Zu Dritt reisen wir ins urtümliche Ammergebirge, um den Schicksalsberg endlich zu bezwingen! Der Himmel ist heute Morgen noch in ein tristes Grau gehüllt, als wir im beschaulichen Graswang (854m) eintrudeln. Auf dem nicht sehr geräumigen Wanderparkplatz am Schattenwaldweg stellen wir unseren Wagen ab und packen gemächlich unsere Rucksäcke.

Rund um die Gertrudiskapelle

Um 09:30 Uhr machen wir uns auf den Weg. Gut gelaunt stapfen wir zunächst an der Hauptstraße entlang zurück zum Ortseingang, wo sich eine kleine Brücke über die hell rauschende Linder spannt. Direkt hinter dem Gebirgsbach erwartet uns eine schöne, satte Wiesenlandschaft, die von einer schmalen Teerstraße durchzogen wird. Während wir der Piste nach Süden folgen, werden wir von einer Handvoll Ziegen misstrauisch beäugt. Ob sie wohl ahnen, was für ein Husarenstück wir heute aus den Beinen schütteln werden? Nach einer kurzen Fotopause an der barocken Gertrudiskapelle, die seit 1694 den Wiesengrund überblickt, wenden wir uns schließlich dem Waldrand zu.

Die Gertrudiskapelle bei Graswang.

Unser erster Wegpunkt ist die idyllisch gelegene Gertrudiskapelle.

Schleichwege

Aufmerksam halte ich die Augen offen, um die Abzweigung zum Kienjoch (1953m) ja nicht wieder zu verpassen. Von meinen bisherigen Versuchen weiß ich: Wer über die Brücke am Kühalpenbach geht, ist bereits zu weit. Rechts am Wegesrand finden wir aber auf Anhieb gleich das Schild mit der Aufschrift »Kuhalmstr.«. Direkt daneben führen schwache Steigspuren in den Wald hinein. »Hier sind wir richtig!«, rufe ich meinen Begleitern mit Genugtuung zu. Über einen schmalen, leicht verwilderten Steig geht es im Anschluss hinein in den urtümlichen Mischwald.

Die Abzweigung zum Kienjoch.

Ein unauffälliges Schild am Wegesrand weist uns den Weg zum Kienjoch.

Nach etwa 25 Minuten mündet der Steig in eine breite Forststraße, die zur Kuhalm (1338m) hinaufführt. Dieser wollen wir allerdings erst auf dem Rückweg einen Besuch abstatten. Dementsprechend ignorieren wir die Schotterpiste für den Moment und biegen stattdessen direkt gegenüber gleich wieder in den Wald hinein. Dort führt uns ein äußerst verwilderter Steig nun weiter nach oben. Während ich mich mit einem meiner Begleiter vorsichtig durch das dichte Gestrüpp zwänge, nimmt unser dritter Mann Reißaus und zischt von dannen. Die nächsten zwei Stunden werden wir ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen...

Der Nordostgrat

Nach und nach weicht das wilde Gestrüpp einem lichten Bergwald, der zu unserer Freude nun auch die ersten Ausblicke über das weite Lindertal erlaubt. Selbst die Große Klammspitze (1924m) mit ihrem mächtigen Gipfelaufbau haben wir bestens im Blick. Serpentine um Serpentine folgen wir dem Nordostgrat hinauf, bis wir schließlich eine steile Grasflanke erreichen, die gequert werden muss.

Die Große Klammspitze und das Lindertal.

Vom Nordostgrat bietet sich uns ein herrlicher Blick über das weite Lindertal.

Das Mittageck

Mittageck
LandDeutschland
GebirgeAmmergauer Alpen
KammKramergruppe
Höhe1855 m
Koordinaten47°33′03″N, 11°00′38″E

Jetzt dauert es nicht mehr lange, bis sich mit dem Mittageck (1855m) auch schon der erste Gipfel der Tour vor uns aufbaut. Bereits aus der Ferne können wir oben am Gipfel eine menschliche Silhouette ausmachen. Das muss unser dritter Mann sein! Nach einer kurzen Brotzeitpause auf der Wiese direkt unterhalb des Gipfelaufbaus steigen wir über den steinigen, teils latschengesäumten Grat hinauf zu unserem Begleiter, der uns am Gipfel freudig in Empfang nimmt. Zufrieden klatschen wir uns ab und lassen unsere Blicke über die Gipfel im Umland schweifen. Der Auftakt ist gemacht!

Der Gipfelaufbau des Mittageck.

Mit dem Mittageck besteigen wir den ersten Gipfel der Tour.

Über dem Schattenwaldkar

Von unserer jetzigen Warte können wir unser nächstes Gipfelziel bereits bestens erkennen. Imposant streckt sich im Südwesten der Kieneckspitz (1943m) mit seiner zerklüfteten Ostwand in den mittlerweile weiß-blauen Augusthimmel. Um zu ihm zu gelangen, müssen wir zunächst dem schmalen, latschengesäumten Kamm weiter nach Westen folgen. Linkerhand haben wir einen schönen grünen Bergkessel im Blick, rechterhand fällt der Grat jäh hinab ins Schattenwaldkar. Kurz nachdem der Weg wieder anzusteigen beginnt, erreichen wir eine Weggabelung. Rechts führt ein schwacher Steig hinüber zum Dreierköpfel (1748m), bei dem es sich lediglich um einen unbedeutenden Gratkopf handelt. Wir behalten hingegen unser eigentliches Ziel im Auge und folgen dem weiteren Kammverlauf nach Süden. Zwischen dichten Latschen steigen wir auf einem schmalen und zuweilen ausgesetzten Steig dem Gipfel entgegen.

Der Kamm zwischen Mittageck und Kieneckspitz.

Immer am Kamm entlang geht es weiter zum eindrucksvollen Kieneckspitz.

Der Kieneckspitz

Kieneckspitz
LandDeutschland
GebirgeAmmergauer Alpen
KammKramergruppe
Höhe1943 m
Koordinaten47°32′42″N, 11°00′14″E

Gegen 13 Uhr erreichen wir schließlich den kleinen Steinhaufen, der den höchsten Punkt des Kieneckspitz (1943m) ziert. Der zweite Streich ist gelungen! Zufrieden klatschen wir uns ab und schießen ein paar Fotos. Der Ausblick von hier oben ist herrlich! Im Südwesten haben wir mit dem Kienjoch (1953m) und dem Geißsprüngkopf (1934m) nun auch die letzten beiden Gipfel der Überschreitung im Blick.

Der Blick vom Kieneckspitz nach Osten.

Im Osten zeigt sich uns die Notkarspitze sowie der Große Zunderkopf.

Der Blick vom Kieneckspitz nach Südwesten.

Im Südwesten reicht der Blick bis zur Kreuzspitze, dem höchsten Gipfel des Ammergebirges.

Anspruchsvoller Grat

Nach einer kurzen Gipfelpause machen wir uns direkt wieder ans Werk. Der Übergang zum Kienjoch (1953m) stellt sich dabei als der kniffligste Abschnitt der Tour heraus. Über einen schmalen, ausgesetzten Grat geht es zunächst ordentlich hinab. Dabei müssen wir nicht nur sorgsam auf unsere Tritte achten, sondern uns auch gelegentlich mit den Händen absichern. Doch mit etwas Konzentration lassen sich diese leichten Kraxel-Passagen (UIAA I) problemlos meistern. Nachdem wir den Sattel erreicht haben, steigt der Weg langsam wieder an.

Der Grat zwischen Kieneckspitz und Kienjoch.

Über einen schmalen und ausgesetzten Grat nähern wir uns dem Kienjoch.

Das Kienjoch

Kienjoch
LandDeutschland
GebirgeAmmergauer Alpen
KammKramergruppe
Höhe1953 m
Koordinaten47°32′27″N, 10°59′55″E

Über eine sanfte Grasflanke erreichen wir gegen 14 Uhr schließlich den höchsten Punkt der Tour: den Gipfel des Kienjoch (1953m). Eine knappe Stunde haben wir für den Übergang vom Kieneckspitz (1943m) gebraucht. Euphorisch klatschen wir das Gipfelkreuz ab und machen es uns darunter gemütlich. Eine Brotzeitpause haben wir uns mittlerweile redlich verdient! Während wir unseren mitgebrachten Proviant langsam dezimieren, genießen wir das herrliche Panorama.

Im Norden blitzt hinter dem Klammspitzkamm das flache Alpenvorland mit dem Ammersee hervor. Im Osten haben wir nicht nur die Notkarspitze (1889m), sondern auch die Zweitausender des Estergebirges im Blick. Im Süden erhebt sich die Kramerspitze (1985m) in den wolkenverhangen Augusthimmel. Eingerahmt wird sie von den fahlgrauen Gipfeln des Wettersteinmassivs. Komplettiert wird das Panorama von der Kreuzspitze (2185m) im Westen, die sich hinter dem Frieder (2053m) und dem Friederspitz (2049m) majestätisch aufbaut.

Der Blick vom Kienjoch nach Südwesten.

Im Südwesten haben wir die Kreuzspitzgruppe im Blick.

Der Blick vom Kienjoch nach Nordosten.

Im Nordosten können wir den bisherigen Wegverlauf nachverfolgen.

Der Geißsprüngkopf

Geißsprüngkopf
LandDeutschland
GebirgeAmmergauer Alpen
KammKramergruppe
Höhe1943 m
Koordinaten47°32′20″N, 11°00′02″E

Nachdem wir uns im Gipfelbuch verewigt haben, machen wir uns wieder abmarschbereit. Das Schlimmste haben wir mittlerweile zum Glück hinter uns. Lediglich ein Gipfel fehlt uns heute noch: der Geißsprüngkopf (1934m). Dieser ist allerdings kaum der Rede wert. Nach gerade einmal sieben Minuten erreichen wir über den grasigen Kamm die unscheinbare Erhebung südlich des Kienjoch (1953m). Der Vollständigkeit halber schießen wir auch hier schnell ein Gipfelfoto, dann ziehen wir aber auch schon weiter.

Der Geißsprüngkopf im Ammergebirge.

Unschwierig steigen wir zum letzten Gipfel der Tour, dem Geißsprüngkopf, hinauf.

Stimmen aus dem Nichts

Mit dem vierten und letzten Gipfel des Tages im Gepäck wenden wir uns jetzt dem Abstieg zu. Dieser führt uns zunächst weiter am Kamm entlang gen Süden. Kurz bevor wir den Sattel zum Windstierlkopf (1824m) erreichen, hören wir nach mehreren Stunden der Einsamkeit plötzlich ein paar menschliche Stimmen. Sie gehören zu zwei Frauen, die sich mit ihrem Hund eine kleine Verschnaufpause leicht abseits des Weges gönnen. Kurz plaudern wir mit ihnen, dann steigen wir vom Sattel aus über enge Serpentinen hinab in den grünen Bergkessel, der von der Notkarspitze (1889m), dem Vorderen Felderkopf (1928m) und dem Kienjoch (1953m) eingerahmt wird.

Der Bergkessel oberhalb der Kuhalm.

Vom Sattel des Windstierlkopf steigen wir in den Kessel oberhalb der Kuhalm hinab.

Gesellige Runde am Tümpel

Bei einem kleinen Tümpel am Wegesrand legen wir nochmal eine kurze Pause ein. Es dauert nicht lange, da kommen die beiden Frauen mit ihrem Hund herabgestiegen und gesellen sich zu uns hinzu. Von unten kommt plötzlich auch ein junges Pärchen herauf. Und so wird aus dem einsamen Tümpel plötzlich ein Ort der Begegnung. Fast eine halbe Stunde stehen wir beieinander und quatschen über dies und jenes, ehe wir uns dann doch losreißen können und den Abstieg fortsetzen. Dieser führt uns durch einen lichten Bergwald gemütlich hinab zur idyllisch gelegenen Kuhalm (1338m).

Bildergalerie: Die Kienjoch-Überschreitung

Der Kühalpenbach

Nun haben wir die Qual der Wahl: Sollen wir locker über die Forststraße nach Graswang absteigen, oder uns doch lieber dem anspruchsvollen Steig zuwenden, der am Kühalpenbach (auch bekannt als Kuhalmbach) entlangführt? Wir entscheiden uns für die zweite Variante, da sie nicht nur deutlich kürzer, sondern auch reizvoller ist.

Der Wegweiser an der Kuhalm.

Drehkreuz: An der idyllisch gelegenen Kuhalm laufen gleich mehrere Wege zusammen.

Direkt hinter der Almhütte biegen wir auf einem schmalen Trampelpfad ein, der uns nun langsam zum Bachbett hinabführt. Das junge Pärchen vom Tümpel hatte uns bereits gewarnt, dass der Kühalpenbach zurzeit viel Wasser führt. Speziell im Unterlauf kann dies schnell zu einem Problem werden, da dort der Gebirgsbach mehrfach gequert werden muss.

Der Kühalpenbach bei Graswang.

Der hohe Wasserstand des Kühalpenbach sorgt beim Abstieg für zusätzliche Würze.

Ausklang in Graswang

Mit teils trockenen, teils nassen Füßen erreichen wir kurz vor 18 Uhr wieder die Brücke am Kühalpenbach, welche wir von heute Morgen noch kennen. Erschöpft, aber zufrieden stapfen wir wieder an der Gertrudiskapelle vorbei, überqueren die noch immer hell rauschende Linder, und betreten nach fast neun Stunden wieder die Straßen von Graswang. Spontan entscheiden wir uns, noch beim Gasthaus zum Fischerwirt einzukehren. Nach solch einer monströsen Tour haben wir uns eine deftige Mahlzeit mehr als verdient! Während wir draußen auf der Terrasse sitzen und auf unser Essen warten, stoßen wir schon einmal an: Der Fluch der Kienjoch-Überschreitung ist endlich gebrochen!

StationenDistanzDifferenzZeit
Graswang
→ Mittageck ✝ +5,3 km1012 m ↑ 11 m ↓+3h 15m
→ Kieneckspitz ✝ +1,0 km 139 m ↑ 51 m ↓+0h 50m
→ Kienjoch ✝ +0,6 km 75 m ↑ 65 m ↓+0h 35m
→ Geißsprüngkopf ✝ +0,3 km 15 m ↑ 34 m ↓+0h 10m
→ Kuhalm +2,9 km 0 m ↑608 m ↓+1h 35m
→ Graswang +5,2 km 9 m ↑481 m ↓+1h 40m
Gesamt 15,3 km1250 m ↑1250 m ↓8h 05m