Das Panorama vom Gipfel der Notkarspitze.

Ein einsamer Modeberg

Die Überschreitung der Notkarspitze


22. Oktober 2015 • Autor: red.


Übersicht

Dieser Bericht beschreibt die Besteigung der Notkarspitze in den Ammergauer Alpen. Meine Ausflug auf den beliebten Modeberg beginnt in den Straßen von Ettal. Von dort führt mich zunächst der selten begangene Notalmsteig hinauf bis zum Kamm. Bei der anschließenden Gratwanderung überschreite ich mit dem Ochsensitz, dem Ziegelspitz und der Notkarspitze dann gleich drei lohnenswerte Gipfel. Als schließlich die Dämmerung hereinbricht, wird es Zeit für den Abstieg. Dieser führt mich über das Hasenjöchl und die imposante Gießenbachschlucht wieder zurück nach Ettal.

Schwierigkeit: T3GPS-Route: DownloadWanderkarte: Kompass 5

Ein Modeberg?

Ein wahrer Geheimtipp ist sie ja nicht, die Notkarspitze (1889m) bei Ettal. Ganz im Gegenteil. In den letzten Jahren avancierte der markante Gipfel im Ammergebirge mehr und mehr zu einem regelrechten Modeberg. Speziell in den Sommermonaten bevölkern ganze Heerscharen von Wanderern die Wege rund um den imposanten Aussichtsgipfel. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob man seine Wanderung am Ettaler Sattel oder an der Ettaler Mühle beginnt. Einsamkeit sucht man auf den meisten Zustiegsrouten oft vergeblich. Doch es geht auch anders!

Einsam in Ettal

Es ist ein herrlicher Herbsttag, als mich der Bus vor dem Klostergasthof in Ettal (877m) absetzt. Jetzt zur Mittagszeit sind die Straßen in der beschaulichen Gemeinde wie ausgestorben. Nur vor dem Gemäuer der altehrwürdigen Benediktinerabtei schlendert ein älteres Pärchen an mir vorbei. Ansonsten ist keine Menschenseele in Sicht. Soll das etwa ein Omen sein? Hoffen wir’s! Voller Tatendrang mache ich mich auf den Weg. Mein heutiges Ziel, die Notkarspitze (1889m), kann ich glücklicherweise jetzt schon bestens erkennen. Wahrlich beeindruckend bohrt sich der schneebestäubte Gipfel in den strahlend blauen Herbsthimmel.

Bildergalerie: Ochsensitz, Ziegelspitz & Notkarspitze

Der wilde Notalmsteig

Zuversichtlich wende ich mich nach Süden und folge dem Notalmweg über eine sattgrüne Herbstwiese bis zum Waldrand, wo bereits der erste Wegweiser auf mich wartet. Rechts geht es hinüber nach Oberammergau, links weiter zum Normalweg über den Ettaler Sattel. Doch für heute habe ich mir einen anderen, seltener begangenen Zustieg ausgesucht. Zielstrebig biege ich nach rechts ab und folge dem Weg für etwa 100 Meter, bis ich den Einstieg zum Notalmsteig erreiche. Ein großes Hinweisschild warnt mich dort vor dem, was mir bevorsteht. „Nur für Geübte! – Gefährlicher Steig! – Begehen auf eigene Gefahr!“ heißt es da. Mit einem leicht unguten Gefühl mache ich mich ans Werk. Doch von Gefahr ist die ersten 20 Minuten kaum etwas zu spüren. Der Pfad schlängelt sich zwar äußerst steil den Hang hinauf, doch wirklich gefordert fühle ich mich nicht. Lediglich der nasse Untergrund und das viele Laub auf dem Weg sind etwas unangenehm.

Eine Herbstwiese bei Ettal.

Über eine schöne Herbstwiese geht es zum Notalmsteig.

Nach dem zahmen Beginn wird der Steig dann aber plötzlich doch anspruchsvoller. Zahlreiche kleinere und größere Felsstufen müssen überwunden werden. Manche davon sind naturbelassen, andere mit Drahtseilen gesichert. Eine Stelle wurde sogar mit einer Aluminiumleiter entschärft! Doch so ganz vertrauenserweckend sieht mir die Konstruktion ehrlich gesagt nicht aus. Die Leiter ruht an einem morschen Pflock, ein Fuß steckt im Matsch, der andere schwebt in der Luft, und fixiert ist das Ganze mit einem rostigen Draht. Da ich keine Lust habe, mit der Leiter den Hang hinunter zu rutschen, umgehe ich die Stelle dann doch lieber einfach rechterhand. Mit ein paar beherzten Handgriffen ist das alles kein Problem. Nachdem ich kurz darauf auch noch zwei kleine Holztreppen hinter mir gelassen habe, bin ich aber aus dem Gröbsten raus.

Eine Leiter auf dem Notalmsteig.

Wenig vertrauenserweckend wirkt diese Leiter auf dem Notalmsteig.

Der Ochsensitz

Ochsensitz
LandDeutschland
GebirgeAmmergauer Alpen
KammKramergruppe
Höhe1515 m
Koordinaten47°33′24″N, 11°05′04″E

Vorbei an den ersten kleinen Schneefeldern erreiche ich schließlich den Kamm. Hier stößt nun auch der Notalmsteig wieder mit dem Normalweg zusammen. Im Schatten einiger Kiefern geht es jetzt auf dem breiten Wanderpfad locker gen Westen, wo bereits nach wenigen Schritten eine kleine Lichtung auf mich wartet: die Notalm (1413m). Direkt dahinter zeichnet sich der bewaldete Gipfelaufbau des Ochsensitz (1515m) ab – meine erste Zwischenstation.

Wenn man es nicht besser wüsste, würde man glatt an der unscheinbaren Erhebung vorbeilaufen. Gut versteckt ragt das hölzerne Gipfelkreuz des Ochsensitz (1515m) hinter einigen Baumstämmen in den weiß-blauen Herbsthimmel. Doch den kleinen Abstecher lasse ich mir natürlich nicht nehmen. Die Aussicht vom Gipfel ist heute fantastisch! Während sich im Süden der verschneite Wettersteinkamm zeigt, wird der Blick nach Norden von den Gipfeln der Laber-Gruppe dominiert. Auch das Kloster Ettal kann ich von hier oben bestens erkennen. Großartig!

Der Ausblick vom Ochsensitz auf Ettal und die Laber-Gruppe.

Die Aussicht auf Ettal und die Laber-Gruppe ist fantastisch.

Der Ziegelspitz

Ziegelspitz
LandDeutschland
GebirgeAmmergauer Alpen
KammKramergruppe
Höhe1719 m
Koordinaten47°33′21″N, 11°04′17″E

Mein nächstes Ziel, den Ziegelspitz (1719m), habe ich ebenfalls schon vor Augen. Imposant baut sich der verschneite Gipfel direkt vor mir auf. Und so setze ich mich schon bald wieder voller Tatendrang in Bewegung und folge dem schmalen Pfad nach Westen. Obwohl die Latschen am Wegesrand bereits unter einer schweren Schneelast ächzen, ist der Weg erstaunlicherweise problemlos zu begehen. Und so dauert es auch gerade einmal eine halbe Stunde, bis ich das große, hölzerne Gipfelkreuz erreiche. Doch belohnt werde ich für meine Mühen nicht. Dichte Nebelschwaden treiben mittlerweile über den Ziegelspitz hinweg, und nur gelegentlich kann ich noch einen Blick auf Ettal oder den Ochsensitz (1515m) erhaschen. Mein nächstes Ziel, die Notkarspitze (1889m), bleibt sogar vollständig hinter dem weißen Schleier verhüllt. Schade!

Der Ziegelspitz im Nebel.

Der Ziegelspitz zeigt sich mir heute nur nebelverhangen.

Die Notkarspitze

Nachdem ich mich noch schnell im Gipfelbuch verewigt habe, mache ich mich wieder auf den Weg, denn schön langsam drängt die Zeit. Bis zum Sonnenuntergang dauert es maximal noch eine Stunde – und in der Dunkelheit möchte ich hier oben nur ungern herumirren. Mit flotten Schritten folge ich also dem Gratverlauf weiter gen Westen. Den Gipfel der Notkarspitze (1889m) kann ich allerdings immer noch nicht erkennen. Dafür ist der aufziehende Nebel einfach zu dicht.

Der Vorgipfel der Notkarspitze im Nebel.

Der namlose Vorgipfel der Notkarspitze blitzt aus dem Nebel hervor.

Doch zum Jammern bleibt keine Zeit. Vielmehr sind meine Blicke nun auf den schmalen Pfad gerichtet, der sich mit vielen Auf- und Abschwüngen durch das Latschengewirr entlang der Gratkante frisst. Zielstrebig zwänge ich mich an den kleinen, schneebeladenen Kieferngewächsen vorbei und genieße dabei das Prasseln des Schnees, das die unheimliche Stille des Abends gelegentlich durchbricht. Fast eine Stunde lang bin ich hier oben unterwegs, ehe sich plötzlich ein schemenhaftes Kreuz im Nebel vor mir abzeichnet. Es ist endlich geschafft! Die Notkarspitze (1889m) ist erreicht!

Der Gipfel der Notkarspitze.

Heute ist der Gipfel der Notkarspitze ausnahmsweise einmal menschenleer.

Notkarspitze
LandDeutschland
GebirgeAmmergauer Alpen
KammKramergruppe
Höhe1889 m
Koordinaten47°33′12″N, 11°03′18″E

Erleichtert lege ich meinen Rucksack ab und spaziere zum Gipfelkreuz hinüber. Die Witterung hat sich zwar immer noch nicht gebessert, aber dennoch ist der Ausblick von hier oben spektakulär. Wie gezuckert liegen die schneebestäubten Gipfel des Ammergebirges vor mir. Viele alte Bekannte kann ich hier erkennen. So breitet sich im Süden der Kamm zwischen dem Schafkopf (1380m) und dem Felderkopf (1818m) aus, den ich erst vor wenigen Wochen überschritten habe. Im Westen zeigt sich mir hinter einigen Nebelschwaden der markante Windstierlkopf (1824m), der den Grat zum Kienjoch (1953m) einläutet. Und im Nordwesten liegt mir Graswang zu Füßen, das vor dem imposanten Klammspitzkamm geradezu winzig erscheint.

Sonnenuntergang über dem Wetterstein.

Die Sonne versinkt langsam hinter dem Wettersteingebirge.

Die Szenerie wirkt geradezu unwirklich und beklemmend. Dichte Nebelschwaden steigen zwischen den verschneiten Berghängen herauf, und hinter dem Wetterstein versinkt die Sonne langsam mit einem sepiagetönten Farbspiel. Doch der düstere Wolkenteppich, der sich mittlerweile über das Ammergebirge gelegt hat, droht nun auch dieses letzte Tageslicht gänzlich zu verschlucken. Und dann ist da noch diese Stille – diese unheimliche Stille – die nur gelegentlich von dem Grollen kleinerer Lawinen durchbrochen wird. Hier oben bin ich ganz auf mich alleine gestellt. Zwischen mir und der nächsten Siedlungen liegen Stunden, und wohin auch blicke, es ist weit und breit keine Menschenseele in Sicht. Jetzt verstehe ich, was Einsamkeit bedeutet.

Quo Vadis?

Allzu lange lasse ich diese Eindrücke allerdings nicht auf mich wirken. Stattdessen wird es langsam Zeit, den Abstieg in Angriff zu nehmen. Immerhin möchte ich bis zum Einbruch der Dunkelheit noch möglichst weit hinabsteigen. Die Frage ist nur: Wie? Gleich eine Handvoll Routen stehen mir dafür zur Auswahl. Soll ich über den Normalweg zum Ettaler Sattel zurückkehren oder doch lieber über das anspruchsvolle Notkar zur Mühle hinunterwandern? Spontan entscheide ich mich für eine dritte Option: den Abstieg über das Hasenjöchl (1600m) und die Gießenbachschlucht. Diese Route ist zwar etwas länger, aber erscheint mir unter den gegebenen Umständen als die leichteste Variante.

Über das Hasenjöchl zur Roßalm

Und so mache ich mich schließlich wieder auf den Weg. Auf einem leicht abfallenden Pfad geht es zunächst zwischen einigen Latschen entspannt den Südwestrücken hinab. Gerade einmal 25 Minuten brauche ich bis zum Hasenjöchl (1600m). Zwar könnte ich von hier jetzt auch geradeaus zum Brünstlkopf (1814m) weiterwandern, doch ich biege heute lieber nach links ab. Dort schlängelt sich ein breiter Pfad langsam hinunter bis zur einsam gelegenen Roßalm (1327m). Eingerahmt von einer schönen Wiesenlandschaft steht hier eine kleine, urige Holzhütte. Bewirtet ist diese allerdings nicht, und so halte ich mich hier nicht allzu lange auf. Der nahende Einbruch der Finsternis sitzt mir bereits eh im Nacken. Mit flinken Schritten marschiere ich stattdessen auf einer Forststraße weiter gen Osten, bis mich nach einigen Metern ein Wegweiser wieder in den dichten Wald lotst.

Der Südwestrücken der Notkarspitze.

Über den Südwestrücken geht es zunächst zum Hasenjöchl.

Showdown in der Gießenbachklamm

Mittlerweile ist es so dunkel geworden, dass ich mit bloßen Augen kaum noch etwas erkennen kann. Doch zum Glück habe ich immer eine Stirnlampe in meinem Rucksack dabei. Im Schein der kleinen LED-Leuchte bahne ich mir nun langsam den Weg hinunter zum Gießenbach. Nach einigen engen Serpentinen und einer kurzen, versicherten Passage ist es aber dann auch schon geschafft, und ich stehe am Ufer des kleinen Wasserlaufs. Dieser hat über die Jahrtausende eine eindrucksvolle Klamm in die Landschaft gefressen. Doch in der Dunkelheit lassen sich die imposanten Felswände um mich herum leider nur erahnen. Schade! Leicht enttäuscht folge ich dem Verlauf der Schlucht und muss dabei den kleinen Bach gleich mehrere Male überqueren. Im Sommer muss das hier ein Traum sein!

Zurück in Ettal

Nach ein paar Minuten neigt sich mein Spaziergang durch die Klamm dann aber auch schon dem Ende entgegen, und ich treffe auf eine breite Forststraße. Damit ist das Schlimmste nun endlich vorbei! Erleichtert verstaue ich meine Wanderstöcke im Rucksack und trotte auf der breiten Schotterpiste locker hinab zum Ettaler Sattel. Mittlerweile ist es schon stockfinster geworden, und die Nacht hängt wie ein tiefschwarzes Tuch über dem Graswangtal. Mit letzter Kraft schleppe ich mich noch zu einem urigen Gasthaus an der Hauptstraße. Dort lasse ich den Abend gemütlich ausklingen. Während die Wirtin gerade das Essen hereinträgt, blicke ich noch einmal durch das Fenster auf die dunkle Silhouette der Notkarspitze (1889m). Wer hätte gedacht, dass dieser Modeberg so einsam sein kann?

StationenDistanzDifferenzZeit
Ettal
→ Ochsensitz ✝ +2,8 km638 m ↑ 0 m ↓+1h 45m
→ Ziegelspitz ✝ +1,0 km228 m ↑ 24 m ↓+0h 35m
→ Notkarspitze ✝ +1,5 km217 m ↑ 47 m ↓+0h 50m
→ Hasenjöchl +1,2 km 11 m ↑ 300 m ↓+0h 25m
→ Roßalm +1,3 km 0 m ↑ 277 m ↓+0h 40m
→ Ettaler Sattel +5,0 km 69 m ↑523 m ↓+1h 25m
→ Ettal +1,0 km 8 m ↑0 m ↓ +0h 20m
Gesamt 13,8 km1171 m ↑1171 m ↓6h 00m