Der letzte Morgen

Pünktlich zum Morgengrauen sind mein Begleiter und ich wieder auf den Beinen. Über der Marvel Lake Campsite [Br13] (1815m) liegt im Moment noch eine malerische Ruhe. Selbst die sonst so aufdringlichen Moskitos scheinen noch zu schlafen. Im fahlen Licht der Dämmerung demontieren wir mit ein paar routinierten Handgriffen das Zelt und packen ein letztes Mal unsere Rucksäcke.

Nach drei intensiven Tagen in der Wildnis geht es für uns heute wieder hinaus aus dem Park. Einerseits verspüre ich etwas Wehmut, die hohen Bergen und tiefen Seen, die dunklen Wäldern und gleißenden Gletschern hinter mir lassen zu müssen. Andererseits freue ich mich schon darauf, wieder in die Zivilisation zurückzukehren. Nach mehreren Tagen in der Wildnis weiß man die kleinen Freuden des Lebens erst so richtig zu schätzen: den Komfort der Autositze, einen saftigen Burger mit Cola, eine warme Dusche, ein gemütliches Bett.

Der Kreis schließt sich

Um 07:16 Uhr sind wir wieder unterwegs. An der verwaisten Kochstelle sammeln wir noch schnell die letzten Reste unseres Proviants auf, dann kehren wir zurück zum Assiniboine Pass Trail — genau jenem Pfad, der uns vor vier Tagen in den Park hineinführte. Tatsächlich dauert es nicht lange, bis wir wieder vertrautes Terrain erreichen. Bereits nach ein paar Minuten blitzt linkerhand, hinter einigem Buschwerk, wieder der markante Schutthang hervor, der uns während der ersten Etappe als Brotzeitplatz diente.

Dieses Mal verzichten wir aber auf eine Pause und biegen stattdessen direkt auf dem Assiniboine Pass Trail ein, der uns heute wieder zu unserem Ausgangspunkt zurückbringen soll. Gedanklich sind mein Begleiter und ich bereits beim Mittagessen in einer der Burger-Buden in Canmore. Um diese verlockenden Tagträume möglichst schnell Realität werden zu lassen, fliegen wir geradezu durch den friedlichen Bergwald.

Aufmerksam halten wir dabei die Augen und Ohren offen, ob sich nicht doch irgendwo noch ein Bär zu erkennen gibt. Doch außer dem Rauschen des Bryant Creek zu unserer Rechten ist nichts zu hören.

Als wir nach etwas mehr als einer Stunde wieder die Mündung des Bryant Creek erreichen, zwingt uns der Hunger doch noch zu einer kurzen Pause. Unter dem gewaltigen Tosen des Gebirgsbaches kramen wir die letzten Reste unseres Proviants aus dem Rucksack und frühstücken — ein letztes Ma(h)l in der Wildnis der Kanadischen Rockies.

Über dem tosenden Wasser des Bryant Creek legen wir unsere allerletzte Brotzeitpause ein.

Nachdem wir mit dem steilen Gegenanstieg unmittelbar hinter dem Spray River auch die letzte nennenswerte Hürde des Tages hinter uns gebracht haben, atmen wir erleichtert auf. Ab jetzt geht es nur noch eben dahin. Geistesabwesend und wortlos folgen wir dem monotonen Watridge Trail zurück nach Osten, vorbei an den jungen Koniferen und den bunten Blumenteppichen, die den Wegesrand zieren.

Je weiter der Morgen voranschreitet, desto mehr Verkehr kommt uns jetzt entgegen. Familien mit Kindern, Pfadfinder, sportliche Pärchen und stille Eigenbrötler ziehen links und rechts vorüber. Während unsere Reise sich dem Ende nähert, beginnt für sie das Abenteuer erst. Ob sie wohl ahnen, was auf sie zukommt?

Um 09:54 Uhr stehen wir schließlich wieder auf dem Parkplatz am Mt. Shark Trailhead (1770m). Gerade einmal zwei Stunden und 38 Minuten haben wir für die heutige Etappe gebraucht. Zufrieden klatschen wir uns ab und schießen vor dem Trailhead-Schild ein letztes Selfie — zum Andenken an eine unvergessliche Tour. Genau wie die Mädels, die uns am ersten Tag hier um ein Foto baten, gehören nun auch wir zu den Veteranen des Assiniboine Loops.

Erschöpft, aber glücklich erreichen wir wieder den Mount Shark Trailhead.

Zurück in die Zivilisation

Über dem Mount Shark (2786m) treiben mittlerweile wieder tiefgraue Wolken hinweg, und es sieht so aus, als könnte es jeden Moment zu regnen anfangen. Bei den Müllcontainern vor dem Toilettenhäuschen entrümpeln wir noch schnell unsere Rucksäcke, dann hinken wir mit letzter Kraft zurück zum Auto, wo uns ein paar frische Klamotten und bequeme Schuhe erwarten.

Als wir wieder halbwegs präsentabel sind, treten wir die Heimreise an. Wie bei der Anreise vor einigen Tagen dröhnt auch heute wieder Tom Petty aus den Lautsprechern unseres Mietwagens, während wir über die staubige Piste zurück in Richtung Zivilisation brettern — nicht ohne uns noch einmal gehörig zu verfransen. Doch im Moment kann uns nichts die Stimmung vermiesen. Die Vorfreude auf ein ordentliches Mittagessen stellt alles andere in den Hintergrund.

Nach vier unvergesslichen Tagen in der Wildnis jagen wir wieder der Zivilisation entgegen.

Stationen	Distanz	Differenz		Zeit
Marvel Lake Campsite
→ Mt. Shark Trailhead	+12,9 km	140 m ↑	185 m ↓	+2h 40m
Gesamt	12,9 km	140 m ↑	185 m ↓	2h 40m