Edward A. Wilson. Beaufort Island. Ross Sea, Antarctica. 04. Januar 1911.

Reinhold Messner
»Wild – Der letzte Trip auf Erden«

Buchkritik


★ ★ ★ ★ ☆


05. Januar 2018 • Autor: red.


In seinem neuesten Buch widmet sich Bergsteigerlegende Reinhold Messner der Lebensgeschichte von Frank Wild – dem wohl größten vergessenen Abenteurer des 20. Jahrhunderts.

Nach mehreren Jahren in der Handelsmarine wendet sich Wild 1901 der Antarktis zu. Das Goldene Zeitalter der Pol-Erkundungen ist gerade in vollem Gang und Wild ist auf der Suche nach dem Abenteuer. Im Rahmen von Robert Falcon Scotts Discovery-Expedition trifft er dabei zum ersten Mal auf Ernest Shackleton, der in den kommenden Jahren zu seinem steten Wegbegleiter und Freund wird. Zusammen bilden die beiden Polarforscher ein eingespieltes Team: Shackleton ist der Mann mit Visionen. Wild der Mann, der im Hintergrund die Fäden zieht.

Während der Nimrod-Expedition kämpfen sie sich mit zwei weiteren Begleitern durch Schneestürme und die klirrende Kälte in Richtung Südpol, hunderte Kilometer weit, sie ringen mit Unterernährung und Skorbut, verlieren unterwegs nach und nach ihre Lastpferde, und müssen schließlich ihre schweren Schlitten selbst durch die endlose Schneewüste ziehen. Nur mit Glück – und aufgrund von Wilds Beharrlichkeit – springen sie dem Tod von der Schippe. Den Pol erreichen sie zwar nicht, doch mit 88°23’S kommen sie ihm so nahe, wie noch nie ein Mensch zuvor.

Im Dezember 1911 gelingt es schließlich dem Norweger Roald Amundsen und seinen Mitstreitern, den südlichsten Punkt der Erde zu erreichen. 35 Tage später steht auch Scott am Südpol. Seine Seilschaft überlebt die Rückreise allerdings nicht. Das dramatische Ende der Terra-Nova-Expedition schlägt in Großbritannien große Wellen und Scott wird fortan als Held verehrt. Von Shackleton und Wild spricht zu diesem Zeitpunkt niemand mehr.

Shackletons verletztes Ego lässt ihn übermütig werden. Um eins draufzusetzen, will er bei der nächsten Expedition nicht nur den Südpol erreichen, sondern den ganzen antarktischen Kontinent überqueren. Mit dabei ist – wie immer – Frank Wild. Doch noch bevor beide überhaupt einen Fuß auf das Festland setzen können, scheitert ihr ambitioniertes Vorhaben. Ihr Schiff – die Endurance – bleibt im Packeis stecken und wird schließlich vom enormen Druck der Eisschollen zerquetscht. Ohne Aussicht auf Rettung driftet Shackleton mit seiner Mannschaft drei Monate lang über das Weddell-Meer. Schließlich retten sie sich nach Elephant Island, einer kargen Insel im Südlichen Ozean. Doch auch hier droht den Expeditionsmitgliedern der sichere Tod.

Buchcover: Wild – oder der letzte Trip auf Erden.

Reinhold Messners neuester Roman wirft einen Blick auf den Polarforscher Frank Wild.

(Coverfoto vom S. Fischer Verlag.)

Da er schließlich keinen anderen Ausweg sieht, bricht Shackleton mit einer Handvoll Männer in einem kleinen Holzboot auf, um Hilfe zu holen. Wild bleibt mit dem Rest der Mannschaft auf Elephant Island zurück – ohne Kommunikation zur Außenwelt, ohne Nahrung, ohne Hoffnung. Doch obwohl die Lage aussichtslos erscheint, hält Wild die Moral aufrecht. Als Shackleton – entgegen allen Erwartungen – nach Monaten mit Hilfe zurückkehrt, glaubt er seinen Augen nicht. Wild hat es geschafft, die gesamte Besatzung am Leben zu halten. Es ist eine unglaubliche Geschichte! Doch in den Wirren des Ersten Weltkrieges geht die Rettung der 22 Männer schnell unter... Wild und Shackleton geraten in Vergessenheit und ringen fortan mit dem bürgerlichen Leben.

Messners Nacherzählung der damaligen Ereignisse ist packend. In Romanform zeichnet er nicht nur eine beeindruckende Charakterstudie des titelgebenden Helden, sondern schafft es auch, die endlose Weite der Antarktis zum Leben zu erwecken. Lebhaft schildert er die Qualen, die Kälte, und die Abgeschiedenheit, die Wild und seine Begleiter bei ihren Expeditionen zum Südpol erdulden mussten – und das über Monate. Aus heutiger Sicht erscheinen die Strapazen nicht nachvollziehbar. Angereichert wird Messners Erzählung zudem mit Fotos von Frank Hurley, der bei der Endurance-Expedition als Fotograf anheuerte und den Überlebenskampf der Mannschaft mit der Kamera festhielt. Die Aufnahmen sind beeindruckend.

Doch Wild ist nicht ganz ohne Makel. Die Dialogpassagen – speziell in den ersten Kapiteln des Buches – sind nicht immer leserfreundlich und zu repetitiv. Darüber hinaus legt Messner den Protagonisten zu oft seine eigenen philosophischen Konzepte in den Mund, was die Frage aufwirft: Was ist Fakt, was ist Fiktion? Letztlich tun diese kleinen Mängel der Geschichte aber keinen Abbruch.

Was bleibt ist ein kurzweiliger Roman über einen großen Abenteurer, der heutzutage zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist.

Autor: Reinhold Messner • Titel: Wild – Der letzte Trip auf Erden • Verlag: S. Fischer
ISBN: 3103973187