Der Blick über die Donau auf Lauingen.

Die Donau

Von Dillingen nach Günzburg


13. März 2025 • Autor: red.


Übersicht

Dieser Bericht beschreibt unsere Donau-Wanderung von Dillingen nach Günzburg. Nach einem schnellen Frühstück in der Dillinger Altstadt folgen wir der Donau zunächst nach Lauingen, wo wir unter anderem den mittelalterlichen Schimmelturm besteigen. Im nahegelegenen Faimingen besuchen wir im Anschluss die Ruinen des römischen Apollo-Grannus-Tempels. Dann geht es lange an der einsamen Donau dahin, bis mit Schloss Reisensburg unsere nächste Zwischenstation vor uns erscheint. Ein Schlussspurt bringt uns schließlich nach Günzburg, wo wir den Tag mit einem Bummel durch die historischen Gassen ausklingen lassen.

Schwierigkeit: T2GPS-Route: DownloadWanderkarte: Kompass 162

Gute sechs Wochen nach der letzten Etappe kehren wir zurück nach Dillingen. Auf der mittlerweile fast dreistündigen Zugfahrt bleibt viel Zeit, um die bisherige Wegstrecke Revue passieren zu lassen. Dialektal haben wir das Bairische schon lange hinter uns gelassen, aber nun nähern wir uns auch aus geografischer Sicht den äußersten Fransen Bayerns. Von unserem heutigen Tagesziel trennt uns nur noch eine weitere Etappe von Ulm und der magischen Grenze zu Baden-Württemberg.

Doch zunächst müssen wir erst einmal den heutigen Tag hinter uns bringen. Von Dillingen wollen wir bis nach Günzburg vorstoßen. Ein Selbstläufer wird das nicht — denn mit knapp 35 Kilometern erwartet uns eine äußerst lange Wanderung. »Nur noch 10 Stunden gehen«, scherze ich, als wir um 07:54 Uhr endlich am Dillinger Bahnhof aus dem Zug steigen. »Nur noch 100.000 Schritte«, fügt mein Kamerad mit breitem Grinsen hinzu.

Nach einem kurzen Stopp bei der Norma im Bahnhofsviertel machen wir uns auf den Weg ins Stadtzentrum. Durch die mittlerweile schon vertrauten Gassen rund um die Basilika St. Peter, vorbei an der Ölbergkapelle und der Marienstatue, landen wir wieder auf der Königsstraße, die im Moment noch einen verschlafenen Eindruck macht. Zielstrebig steuern wir erst einmal die Bäckerei Salzmann an, aus der schon etwas warmes Licht und der Duft von frischem Gebäck dringt.

Die Königsstraße mit dem Mitteltor in Dillingen an der Donau.

Eine friedliche Ruhe liegt über der Dillinger Altstadt.

Die Verkäuferin hinter der Theke ist gerade noch mit einer anderen Kundin beschäftigt, und so nutzen wir die Zeit, um das vielfältige Angebot an Backwaren zu studieren. Die Wahl fällt nicht einfach. Letztlich entscheide ich mich für eine Teezunge, beziehungsweise ein Teeblatt, wie es hier genannt wird. Mein Begleiter ordert eine Lachssemmel und einen Latte Macchiato. Dazu gibts eine Ausgabe der Donau-Zeitung, die ich aber glatt auf der Theke vergesse, bis die Verkäuferin mich darauf aufmerksam macht. Im Eck vor dem Schaufenster finden wir einen freien Tisch, wo wir gemütlich frühstücken können.

Gegen 8:35 Uhr treten wir wieder hinaus in die kalte Morgenluft. Ein kleines Stück schlendern wir noch die Königsstraße hinauf, dann verschwinden wir, zwischen einem Dessous-Shop und einem Modegeschäft, auf einem schmalen Gässchen, das uns zum Dillinger Schloss bringt. Von hier geht es über eine Treppe hinab in die Vorstadt. Unter den neugierigen Blicken einer schwarzen Katze, die auf einem Baugerüst am Straßenrand lauert, ziehen wir durch die Wohnsiedlung und gelangen kurz darauf wieder an die Donau.

Die Luft ist kühl, der Himmel grau. Silbrig schimmernd zieht der Fluss dahin. Ein paar hundert Meter vor uns zeichnet sich bereits die dunkle Staumauer des Dillinger Kraftwerks ab. Es ist das erste von vier Kraftwerken, die uns heute erwarten. In Günzburg wird das Fünfte bereits drohend am Horizont lauern. Spätestens seit Donauwörth nimmt die Frequenz der Staustufen spürbar zu. Alle paar Kilometer wird der Fluss von Neuem aufgestaut, so dass man die natürliche Größe der Donau schon lange nicht mehr einschätzen kann. Wie mag es hier nur ausgesehen haben, bevor die Donau von Menschenhand gezähmt, begradigt, und aufgestaut wurde? Insgeheim freue ich mich schon darauf, endlich nach Baden-Württemberg zu kommen, wo die Donau sich wieder über große Strecken frei und wild, mit allerlei Kurven und Mäandern, durch die Landschaft bewegen kann.

Auf Höhe der Staumauer stoßen wir auf ein Denkmal für Sebastian Kneipp, den Vater der Wasserkur, der eine Zeit lang in Dillingen studierte. »Irgendwann müssen wir auch einmal zum Kneippen gehen«, sage ich zu meinem Kameraden. Heute wird jedenfalls nichts daraus — denn das Becken, das die Statue umgibt, ist momentan nicht mit Wasser, sondern nur mit Laub gefüllt.

Unter dem Gesang der Kohlmeisen und Buchfinken, die zu unserer Rechten durch den Auwald huschen, ziehen wir weiter am Deich entlang. Strohfarbene Rohrkolben säumen das Ufer, ihre zu Watte explodierten Köpfe im Wind neigend. Ein umgestürzter Baum streckt sich von einer langgezogenen Insel herüber. Frische Holzschnitzel rund um den Stamm verraten, wer ihn gefällt haben muss: ein Biber. Haubentaucher und Zwergtaucher bevölkern die Flussmitte, und ein Schwarm Gänsesäger jagt lauthals so knapp über der Donau hinweg, dass sie mit jedem Flügelschlag etwas Wasser aufpeitschen.

Rohrkolben an der Donau bei Dillingen.

Strohige Rohrkolben säumen das Ufer der Donau.

Hinter der Auwaldbrücke erreichen wir bereits die ersten Ausläufer von Lauingen, und der namenlose Deichweg wird zur Segrepromenade. Jenseits der Donau, die sich jetzt nach links windet, erscheinen nach und nach die Zinnen der Altstadt: erst der Schimmelturm, dann die Kirchtürme von St. Martin und St. Alban, die Rundtürme des einstigen Schlosses, und schließlich der Gißübelturm. Während wir das malerische Motiv bewundern, steigt über dem gegenüberliegenden Flussufer eine weiße Gestalt mit riesigen Schwingen empor. Ein Weißstorch! Mit einem Zweig in seinem Schnabel steuert er auf die Stadt zu. Wir folgen ihm sogleich hinterher.

Vorbei an Resten der alten Stadtmauer und dem einstigen Wehrgraben erreichen wir den Eingang zur Stadt. Geschnitzte Figuren schmücken die kleine Wiese hinter der Seebühne, und neben dem mittelalterlichen Tränktor zieht ein schönes altes Bürgerhaus im Fachwerkstil die Blicke auf sich.

Das Tränktor in Lauingen.

Hinter der nächsten Flussbiegung erreichen wir Lauingen.

Zwar könnten wir hier schon in die Stadt eintreten, doch wir entscheiden uns, erst einmal noch ein kleines Stück an der Promenade weiterzuwandern. Wir überqueren das schnellfließende Bächle, wo gerade zwei Enten wie in einer Wasserrutsche herabgesaust kommen, dann biegen wir hinter der nächsten Hecke auf einen schmalen Trampelpfad ein, der uns zum Gißübelturm führt. Direkt hinter dem alten Wehrturm baut sich, pastellgelb und imposant, das Lauinger Schloss mit seinen markanten Rundtürmen auf. Einst errichtet von den »reichen Herzögen« der Wittelsbacher, dient es heute als Seniorenheim.

Wir belassen es bei einem Blick von außen und biegen rechts ins Obere Brunnental ab. Eine wuchtige Stadtmauer aus der Zeit der Staufer begrenzt die Gasse zu unserer Linken. Als wäre das meterhohe mittelalterliche Gemäuer selbst nicht eindrucksvoll genug, sprießt daraus ein ganzes Spalier alter Häuser, aus denen wiederum schöne hölzerne Balkone hervortreten und über die Straße ragen. So etwas haben wir bisher noch nirgends gesehen. Der Vollständigkeit halber schlendern wir im Anschluss auch noch durch das Untere Brunnental, dass seinem oberen Bruder in nichts nachsteht.

Das Obere Brunnental in Lauingen.

Im Schatten der mittelalterlichen Stadtmauer geht es durchs Obere Brunnental.

Nachdem wir die mittelalterlichen Häuserschluchten hinter uns gelassen haben, ist es an der Zeit, das Wahrzeichen der Stadt aufzusuchen. Wir staunen, als wir es endlich zu Gesicht bekommen.

Mit einer stolzen Höhe von 54 Metern schießt der Schimmelturm geradezu aus der Lauinger Altstadt. Als wir auf den Rathausplatz einbiegen, wandern unsere Blicke sogleich über die prächtig gestaltete Fassade des Bauwerks, hinauf bis zur luftigen Kuppel. Einer Sage nach ließ ein Mitglied der bedeutenden Patrizierfamilie Imhof den Turm errichten, nachdem ein Freund der Familie bei einem Ausritt im Wittislinger Moos von mörderischer Rotte erschlagen worden war. Ein Türmer sollte fortan von seiner hochgelegenen Kammer Ausschau halten und dafür sorgen, dass sich solch ein Unglück nicht wiederhole. Wieviel Wahrheit in dieser Geschichte steckt, ist freilich schwer zu sagen. Als gesichert gilt jedoch, dass im Jahr 1457 mit dem Turmbau begonnen wurde. Erst 21 Jahre später, im Jahr 1478, fanden die Bauarbeiten ihr Ende. Eine Inschrift oberhalb der Turmuhr erinnert noch heute an die Fertigstellung.

Der Schimmelturm in Lauingen.

Der imposante Schimmelturm dominiert die Lauinger Altstadt.

Wir gehen ein paar Schritte auf den Turm zu, um die schön gestalteten Malereien auf der Fassade genauer zu sehen. Sie erzählen von den bedeutendsten Figuren der Stadtgeschichte. Das kubistisch angehauchte Fresko direkt über dem Eingang zeigt die größten Kinder der Stadt. Links, mit Mitra und Bischofsstab, sehen wir »den gelehrtisten u. berühmtisten Mann der Welt«, Albertus Magnus. Zu ihm gesellt sich auf der rechten Seite des Bildes die Gräfin Geiselina, »das verständigste, schönste u. gröste Weibsbild in Europa«. Das Fresko darüber erinnert an den sagenhaften Schuster von Lauingen, der bei der Schlacht am Lechfeld gegen die Ungarn im Sommer 955 kaiserliche Anerkennungen geerntet haben soll. Die oberste Malerei zeigt schließlich ein großes weißes Pferd vor blauem Grund — eine Anspielung auf ein legendäres Ross, das im Jahr 1260 im Unteren Brunnental zur Welt gekommen sein soll. Ihm verdankt der Schimmelturm seinen Namen.

Das Schimmel-Fresko auf dem Schimmelturm in Lauingen.

Seinen Namen verdankt der Turm einem legendären Ross aus dem Unteren Brunnental.

Die Tür zum Turm ist im Moment noch verschlossen, doch ein Aushang am Eingang verrät, wo man den Schlüssel für die Turmbesteigung finden kann. Und so machen wir erstmal kehrt und peilen das Bürgerbüro an. Unter den sanften Augen der Albertus-Magnus-Statue auf dem Vorplatz schreiten wir auf das altehrwürdige Rathaus zu. Mit seinem säulengestützten Mittelbau und seiner gelb-weißen Schaufassade erinnert der Bau an einen klassizistischen Palazzo. Selbst der Tierwelt scheint er zu gefallen — denn oben auf dem linken Schornstein hat sich eine Storchenfamilie niedergelassen.

Im Bürgerbüro ist momentan zum Glück nicht viel los. Nur eine junge Frau wartet noch mit uns im Vorzimmer. Nachdem man sich um sie gekümmert hat, sind wir an der Reihe. »Wir würden gern den Schlüssel für den Schimmelturm abholen,« erklärt mein Kamerad der Mitarbeiterin hinter dem Tisch. Diese dreht sich reflexartig zu ihrer Kollegin um und erkundigt sich, ob der Turm überhaupt schon offen sei. Wie sich herausstellt, ist die Terrasse momentan noch gesperrt. »Sie können nur bis zur Türmerstube gehen«, warnt sie uns vor. Doch das stört uns nicht. Ich reiche ihr meinen Perso, als Pfand, sowie zwei Euro pro Person, dann drückt sie mir auch schon den Schlüssel in die Hand.

Ein paar Minuten später befinden wir uns im Bauch des Schimmelturms. Vom Erdgeschoss führt zunächst eine enge Spindeltreppe, sich im Uhrzeigersinn windend, nach oben. Der Durchgang ist niedrig, und ich muss mich gelegentlich ducken, um nicht am Deckenputz entlangzuschrammen. Als wir die erste Etage erreichen, atmen wir kurz durch. Mehrere Infotafeln, die von der Baugeschichte erzählen, zieren die Wände. Nachdem wir einige davon überflogen haben, setzen wir den Aufstieg fort. Stockwerk um Stockwerk steigen wir die hölzernen Treppen nach oben. Es dauert länger als erwartet, bis wir schließlich — außer Atem und mit rasendem Puls — die hochgelegene Türmerstube erreichen. Wie prophezeit ist der Zugang zur Terrasse noch verschlossen, doch der Ausblick ist von hier auch schon herrlich. Ganz Lauingen breitet sich unter uns aus, und am Horizont sind sogar schon die Kühltürme vom Atomkraftwerk Grundremmingen zu sehen. An ihm werden wir heute Nachmittag auch noch vorbeilaufen.

Der Blick vom Schimmelturm über Lauingen.

Von der Türmerstube haben wir einen tollen Blick über Lauingen.

Der Blick vom Schimmelturm über Lauingen.

Hinter dem Schloss zeigen sich am Horizont die Kühltürme vom AKW Grundremmingen.

Nachdem wir wieder zum Rathausplatz abgestiegen sind, verabschiede ich mich kurz von meinem Begleiter. Während ich noch einmal schnell ins Rathaus husche, um den Schlüssel zurückzubringen, eilt mein Kamerad zur Bäckerei Gnaier auf der anderen Seite des Platzes. Da ich etwas schneller fertig bin als er, begebe ich mich noch schnell auf die Suche nach Monica Bellucci. Ich meine, sie vorhin im Vorübergehen gesehen zu haben — auf einem der Restaurant-Tische, die entlang der Imhofstraße aufgereiht stehen. In der Tat finde ich sie als Tornatores Malèna auf einer der schwarz-weißen Tischplatten, die allesamt Motive aus berühmten italienischen Filmen zu zeigen scheinen.

Dann steuere ich die Bank unter der Albertus-Magnus-Statue an, um endlich mein Schuhwerk zu wechseln — denn schön langsam merke ich, dass sich meine Sohlen zu verkrampfen anfangen. Kaum habe ich meine Stiefel geschnürt, kommt auch schon mein Begleiter mit zwei Papiertüten in der Hand über den Platz geschritten. Mir hat er eine Butterbreze mitgebracht, er selbst zieht einen Marillen-Muffin aus der Tüte.

Nach dieser kleinen Brotzeit streifen wir weiter. Es geht jetzt die Herzog-Georg-Straße hinab, vorbei an jahrhundertealten Giebelhäusern und Fachwerkbauten. Vor uns baut sich bereits der wuchtige Kirchturm von St. Martin auf. Vom Aussehen her könnte er der kleine Bruder des Schimmelturms sein.

Da wir in letzter Zeit immer öfter durch Gotteshäuser aller Art geistern, lassen wir es uns auch jetzt nicht nehmen, einen Blick ins Innere zu werfen. Durch das Nordportal auf der Rückseite treten wir ein. Zwei Reihen großer weißer Säulen stemmen das Netzgewölbe in luftige Höhe. Das Interieur selbst wirkt aber relativ spartanisch. Abgesehen von zwei alten Fresken neben der wie neu glänzenden Orgel und den farbenfrohen Glasmalereien über dem Hochaltar gibt es hier nicht allzu viel zu sehen. Ein Großteil der ursprünglichen Ausschmückungen fiel leider dem Bildersturm zur Zeit der Reformation zum Opfer.

Das Innere der St. Martins Kirche in Lauingen.

Relativ schmucklos wirkt das Interieur der Kirche St. Martin.

Als wir nach ein paar Minuten wieder nach draußen treten, spüren wir die ersten leichten Regentropfen auf der Haut. Ich hoffe, dass es dabei bleibt und nicht schlimmer wird — denn für uns geht es jetzt wieder hinaus aus der Stadt. Ein letzter Blick zurück zum Schimmelturm, dann biegen wir in die Zenettistraße ein. Mehrere Metallwägelchen mit bunten Blumen säumen das Trottoir. Als wir das Schloss erreichen, werden wir plötzlich von einer Frau angesprochen, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite wartet. »Seid ihr die zwei vom Tierheim?« Leicht überrascht von der Frage, schütteln wir den Kopf. »Weil hier laufen zwei herrenlose Hunde herum«, klärt sie uns schließlich auf. Da können wir leider nicht helfen.

Ein paar Minuten später sind wir zurück an der Donau. Unter den Bäumen des Luitpoldhains direkt am Ufer künden bereits die ersten Krokusse und Schneeglöckchen vom nahenden Frühling. Flussaufwärts ist schon die nächste Staustufe zu sehen. Doch ehe wir sie erreichen, kommt uns die Brenz dazwischen und führt uns erst einmal von der Donau weg. Leicht mäandernd folgen wir dem malerischen Nebenfluss durch ein kleines Wäldchen. Rechts schmiegt sich das Bächle wie eine madeirische Levada direkt an den Wegesrand.

Bildergalerie: Die Donau — Von Dillingen nach Günzburg

Fünf Minuten später erreichen wir Phoebiana — oder Faimingen, wie die einstige Römerstadt heute genannt wird. Gegründet als Kastell zur Zeit der flavianischen Expansion wuchs Phoebiana schnell zu einem wichtigen Knotenpunkt zwischen Germania Superior und dem Noricum heran.

Nachdem wir die Reste eines alten römischen Kellers passiert haben, bringt uns ein Schleichweg oberhalb der Brenz ins Herz des einstigen Vicus. Mitten in einem Wohnviertel, umgeben von modernen Einfamilienhäusern mit Solaranlagen auf den Dächern, ragen alte römische Gemäuer und tuskische Säulen aus der Landschaft. Es sind die Ruinen des einst weithin bekannten Apollo-Grannus-Tempels. Von überall kamen Pilger und Reisende hierher, um den keltisch-römischen Heil- und Badegott um Hilfe zu bitten. Im Jahr 213 machte sogar der römische Kaiser und Tyrann Caracalla auf seinem Feldzug gegen die Alamannen einen Halt in Phoebiana, um den Tempel zu besuchen. Ein Stück weiter östlich ließ er dabei gleich auch ein neues Steinkastell errichten — als Schutz vor den immer wieder einfallenden Germanen aus dem Norden.

Der Apollo-Grannus-Tempel in Faimingen.

Mitten in einer Wohnsiedlung befinden sich die Reste des römischen Apollo-Grannus-Tempels.

Über verwitterte Stufen steigen wir auf das Plateau, auf dem sich einst das Innerste des Heiligtums befand. »Wenn man sich vorstellt, dass vor fast Zweitausend Jahren hier noch Latein gesprochen wurde,« sage ich nachdenklich, während wir auf die Reste des Porticus zuschreiten, die sich linkerhand befinden. Eine andere Welt. Die umliegenden Orte hießen damals nicht Lauingen, Gundelfingen, Dillingen, oder Heidenheim, sondern Submuntorium, Guntia, Aquileia, Ad Lunam, Opia, oder Augusta Vindelicum, und dort wo heute die Brenz fließt, floss noch der Danubius — die Donau. Nördlich davon breitete sich das Agri Decumates aus, bis zum Limes Germanicum, hinter dem die gefürchteten Alamanni lauerten. Um das Jahr 260 eroberten Letztere schließlich große Teile des Dekumatenlandes und beendeten damit rund zwei Jahrhunderte römischer Herrschaft.

Nachdem wir die lehrreichen Schautafeln unter dem überdachten Porticus gelesen haben, wenden wir uns wieder der Donau zu. Wir überqueren die Brenz über die Brücke an der Römerstraße und gelangen über eine Lichtung, auf der Unmengen Brennholz aufgestapelt sind, ans Ufer des Faiminger Stausees. Auf eine Breite von über 600 Metern wird hier die Donau einmal wieder aufgestaut.

Der Faiminger Stausee.

Jenseits von Faimingen wächst die Donau wieder zu einem gigantischen See an.

Aus dem Wald auf der anderen Seite des Sees ragen die beiden Kühltürme des mittlerweile stillgelegten Atomkraftwerks Grundremmingen hervor. Sie bleiben der einzige Orientierungspunkt für die nächsten Stunden — denn vor uns liegt der einsamste Abschnitt der heutigen Tour. Fast 15 Kilometer lang geht es jetzt durch den abgeschiedenen Auwald, bis wir wieder eine Siedlung erreichen. Zu allem Überfluss fängt es jetzt etwas stärker zu regnen an.

Die Graugänse, die die Deichkrone vor uns belagern, scheint das Wetter nicht zu stören. In der Mitte des Sees zieht ein einsames Teichhuhn seine Bahnen, und auf einem Stück Treibholz sitzend plustert ein Kormoran seine Flügel auf. Auch Gänsesäger, Blässhühner, und Höckerschwäne sind auf dem Stausee unterwegs. Die Vegetation am Ufer wird von Bachstelzen, Wacholderdrosseln, und Gebirgsstelzen bevölkert.

Ereignislos verrinnen die Kilometer. Über eine Stunde dauert es, bis wir endlich auf Höhe des Atomkraftwerks angelangt sind. Wenig später passieren wir auch das Kraftwerk Gundelfingen. Von der anderen Flussseite dröhnt bereits das dumpfe Rumpeln der Güterzüge.

Um 14:15 Uhr erreichen wir die Brücke nach Offingen. Der Regen ist mittlerweile weitergezogen, und so nutzen wir die Gelegenheit, um noch einmal eine kurze Brotzeit zu machen. Der Biergarten an der Radler-Tankstelle hat momentan zwar noch geschlossen, doch direkt am Ufer finden wir einen hölzernen Picknicktisch, der zum Verweilen einlädt. Im Sommer, wenn es warm und sonnig ist, wäre es hier sicherlich noch eine ganze Ecke schöner. Nichtsdestoweniger genießen wir die Pause. Ein paar Minuten sitzen wir beieinander und dezimieren unseren Proviant, dann treibt uns die Kälte langsam weiter.

Die Radler-Tankstelle bei Offingen.

Bei der Radler-Tankstelle gönnen wir uns eine kurze Verschnaufpause.

Direkt unter der Brücke kommt uns ein älterer Herr mit seinem Hund entgegen. Ein Stückchen weiter den Deich hinauf begegnet uns ein junger Mann, der mit seiner kleinen Tochter spazieren geht. Es scheint, die einsamsten Kilometer liegen endlich hinter uns. Vor uns zeichnet sich bereits die nächste Staumauer ab.

Obwohl die Müdigkeit langsam in unsere Beine kriecht, ziehen wir weiter auf dem Deich dahin — Schritt für Schritt. Rechts des Weges, hoch oben auf einer Baumkrone, steht ein Silberreiher und lässt seine Blicke über die grüne Auenlandschaft gleiten. Währenddessen steigt links auf der Donau eine Schar Blässhühner mit lautem Geflatter in die Höhe und verschwindet hinter der schilfigen Halbinsel, die goldgelb in der nächsten Flussbiegung liegt. Auf dem bewaldeten Hügel dahinter prangt schon Schloss Reisensburg — unsere nächste Station.

Das Schloss Reisensburg baut sich hinter der Donau auf.

Jenseits der Donau zeigt sich bereits der Turm von Schloss Reisensburg.

Bei der nächsten Brücke wechseln wir zum ersten Mal am heutigen Tag ans Südufer der Donau. Vom Geländer blicken wir hinunter auf die Bahnstrecke, die sich direkt an die Donau schmiegt. Fast im Minutentakt rauschen hier die Züge den Deich entlang. Von der Regionalbahn bis zum ICE ist alles dabei. »Das muss dieser Deutschland-Takt sein, von dem alle reden.«, scherze ich.

Eine mäßig steile Straße bringt uns hinauf nach Reisensburg. Vorbei an der Kirche St. Sixtus und einigen pittoresken Häusern kurven wir die letzten Meter des Schlossberges hinauf, bis wir vor dem Schloss zu stehen kommen. Einst gehörte es dem Luitpoldinger Perchtold von Reisensburg, der genau wie der sagenhaften Schuster von Lauingen während der Ungarneinfälle in Erscheinung trat — jedoch deutlich weniger ruhmvoll. Denn während der Schuster dem ostfränkischen König dabei half, die Ungarn zu vertreiben, schlug sich Perchtold auf die Seite der Magyaren und warnte sie vor dem anrückenden königlichen Heer.

All das liegt lange zurück. Heute gehört die ehemalige Burg der Universität Ulm. Ein Schild am Straßenrand weist darauf hin, dass Unbefugten der Zutritt verboten ist, und so bleibt uns nur der Blick von außen auf den eher unschön modernisierten Torbau der Vorburg.

Das Schloss Reisensburg.

Das modernisierte Schloss lässt sich nur von außen begutachten.

Unter dem Gehämmer eines Grünspechts geht es wieder den Schlossberg hinab und über die Brücke zurück ans Nordufer der Donau. Als wir ein paar Minuten später die nächste Brücke hinter uns gelassen haben, lösen wir uns vom Fluss und biegen rechterhand durchs Gebüsch auf eine Lichtung. Im Schatten der kahlen Bäume ragen dort unzählige Pfosten wie Grabsteine aus dem leblosen Grund. Dahinter stoßen wir auf ein futuristisch anmutendes Holzgebilde. Es handelt sich dabei um die Auwaldgrotte. Eingelassen in einem schönen Gemäuer steht dort eine Marienstatue. Silhouettiert von gelben Blumen und einem gelben Tuch, das eine Mischung aus Heiligenschein und Sonne darzustellen scheint, blickt uns die weißgewandete Gottesmutter freundlich entgegen. Kurz halten wir inne.

Die Auwaldgrotte bei Günzburg.

Nicht weit vom Donauufer entfernt besuchen wir die Auwaldgrotte.

Jetzt ist es nicht mehr weit. Auf der anderen Flussseite breitet sich bereits ein Wirrwarr aus Dächern und Baukränen aus, und auch der Turm der Günzburger Frauenkirche spitzt bereits hervor. Direkt vor uns durchtrennt die Mündung der Nau den Uferweg. Zwischen strohgelben Wiesen und grauen Felsen fließt ihr Wasser der Donau zu. Am gegenüberliegenden Ufer endet die Reise der Günz.

Einen halben Kilometer bleiben wir noch der Donau treu, dann geht es hinauf auf die Brücke an der Heidenheimer Straße. Von hier oben hätte man eigentlich einen herrlichen Blick auf den historischen Stadtkern von Günzburg — ja, wenn das Wasserwerk nicht das Panorama gänzlich verschandeln würde.

Hinter einer Kreuzung überqueren wir die Günz, dann folgen wir dem Stadtberg hinauf zum Günzburger Schloss, welches das Stadtbild dominiert. Einst ein Sitz der Habsburger, beheimatet der monumentale Bau heute das Finanzamt, das Bürgerbüro, und die Tourist Information.

Mit letzter Kraft erklimmen wir die Stufen des Schlossparks und gelangen über einen Torbogen zur Hofkirche Sanctissimae Trinitatis, mit ihren zwiebelhäuptigen Doppeltürmen. Ein Blick ins Innere bleibt uns heute verwehrt, und so schlendern wir weiter die Rathausgasse hinab zum Marktplatz. Den schönsten Ausblick über die Altstadt hätte man zweifelsohne von der Türmerstube im Unteren Tor, das den Marktplatz im Westen abschließt. Momentan umschnürt allerdings ein enges Korsett aus Baugerüsten den mittelalterlichen Stadtturm.

Die Altstadt von Günzburg mit dem Unteren Tor.

Ein Baugerüst verhüllt zurzeit das Untere Tor in der Günzburger Altstadt.

Der Tag neigt sich mittlerweile dem Ende. Zwei Frauen, in warme Mäntel gehüllt, flanieren zwischen den bunten Fassaden und Fachwerkhäusern dem Stadtbrunnen entgegen, und vor einem verdunkelten Schaufenster sehen wir drei Senioren, die in ein Gespräch vertieft sind. Ein junger Geschäftsmann, mit Jeans und schwarzem Halbmantel, eilt am reich verzierten Brentano-Haus vorüber, aus dessen Erdgeschoss der schwache Schein von warmem Licht dringt. Abgesehen davon liegt aber schon eine schläfrige Ruhe über der Altstadt.

Ein pittoreskes schmales Gässchen führt uns zur Frauenkirche, vor der eine riesige Ahornblättrige Platane ihre schwer beladenen Arme in den bleiernen Abendhimmel reckt. Da die Pforten noch nicht verschlossen sind, verschwinden wir sogleich im Innern der Kirche. Getragen von rosa-marmorierten Säulen spannt sich das weiß-goldene Gewölbe mit allerlei Verzierungen, Ornamenten, und Stuckfiguren über unsere Häupter. Ein großes und farbenfrohes Fresko, das die feierliche Krönung Marias zeigt, schmückt die Decke. Vorne im Chorraum, eingerahmt von dunklem Chorgestühl, baut sich der mit Engeln überkrustete Hochaltar auf. »Gloria in excelsis Deo« heißt es auf dem Spruchband, dass einer der gold-beflügelten Himmelsboten über dem Altargemälde entrollt. Darunter sitzt Maria als Mater Dolorosa mit sieben goldenen Schwertern in der Brust. Das Rokoko trieft hier aus allen Poren.

Die Frauenkirche in Günzburg.

In der prächtig verzierten Frauenkirche gibt es einiges zu entdecken.

Nach unserem Abstecher zur Frauenkirche kehren wir zurück zum Marktplatz, um dort nach einem Restaurant zu suchen — denn vor der langen Heimfahrt würden wir gerne noch einen Happen essen. Nach 35 Kilometern haben wir uns das auch verdient.

Wir landen schließlich beim Brauereigasthof zur Münz. Bis auf zwei Gäste, die im Eingangsbereich mit dem Wirt reden, ist die Gaststätte noch leer. Eine junge Bedienung knipst für uns das Licht in der dunklen Gaststube an und führt uns an einen Tisch im Eck. Mein Begleiter bestellt bei der jungen Frau sogleich ein Radler und ein Cordon Bleu mit Pommes, ich lasse mir nach einem kurzen Blick in die Speisekarte ein Fanta und einen Teller Kässpätzle mit Salat bringen. Die Portionen sind stattlich! Von meinen Kässpätzle schaffe ich gerade einmal zwei Drittel, und so muss mein Kamerad letztlich sogar für mich einspringen.

Kässpätzle vom Brauereigasthof zur Münz in Günzburg.

Im Brauereigasthof zur Münz lassen wir den Tag gemütlich ausklingen.

Unterdessen hat sich die Gaststube langsam gefüllt. Vom Nachbartisch, an dem vier Damen den Feierabend feiern, dringt feinstes Schwäbisch. Da kommen wir nicht umhin, ein wenig zu lauschen. Ja, mittlerweile sind wir schon so weit gegangen, dass sich Vokabular und Aussprache spürbar gewandelt haben. Statt »arbeiten« sagt man hier »schaffe«, Nasallaute werden vom Wortende verbannt, und auch der stereotype -le Diminutiv hängt sich immer wieder einmal an ein Nomen.

Gegen 17:40 Uhr brechen wir wieder auf. An der Kasse begleichen wir unsere Rechnung, dann machen wir uns auf den Weg zum Bahnhof. Draußen hat sich mittlerweile doch noch die Sonne zwischen den Wolken hervorgewagt und wirft jetzt ein schönes abendliches Licht über den Marktplatz.

Durch den Kuhturm im Norden verlassen wir die Altstadt. Eine Viertelstunde später stehen wir am Günzburger Bahnhof. Ein paar Minuten haben wir noch, bis unser Zug eintrudelt, und so nutze ich die Zeit, um endlich wieder in bequemeres Schuhwerk zu wechseln. Mein Kamerad widmet sich derweil seiner Dehnroutine. Dann kündigt eine Durchsage auch schon die Einfahrt der Regionalbahn an.

StationenDistanzDifferenzZeit
Dillingen (Bahnhof)
Lauingen (Tränktor) +7,8 km 10m ↑ 19m ↓ +1h 35m
Faimingen (Tempel) +4,5 km 30m ↑ 17m ↓ +1h 55m
Offingen (Radler-Tankstelle) +9,6 km 11m ↑ 14m ↓ +2h 15m
Reisensburg (Schloss) +6,5 km 58m ↑ 1m ↓ +1h 30m
Auwaldgrotte +2,4 km 3m ↑ 54m ↓ +0h 30m
Günzburg (Schloss) +2,6 km 25m ↑ 0m ↓ +0h 30m
Günzburg (Bahnhof) +1,7 km 10m ↑ 29m ↓ +0h 30m
Gesamt 35,1 km 147m ↑134m ↓ 8h 45m