Der Chesil Beach in Dorset.

Chesil Beach

Eine Nacht am längsten Strand Großbritanniens


07. – 08. September 2019 • Autor: red.


Übersicht

Dieser Bericht beschreibt eine Wanderung über den Chesil Beach an der Jurassic Coast in Dorset. Kurz nach Sonnenuntergang mache ich mich von der Isle of Portland auf den Weg, um den längsten Strand Großbritanniens zu Fuß zu erkunden. Hartnäckig kämpfe ich mich durch die Nacht, raste im Windschatten verlassener Fischerboote, und entdecke dabei schon bald allerlei historische und kulturelle Bezüge, bis ich mit dem Pier von West Bay schließlich den Endpunkt meines Abenteuers erreiche.

Schwierigkeit: T2GPS-Route: Download

Im Süden Englands, zwischen der Isle of Portland und West Bay, erstreckt sich eine wahrlich faszinierende Küstenformation: der Chesil Beach. Mit fast 30 Kilometern ist der weite Bogen aus Flint und Chert der längste Strand Großbritanniens. Im Osten wird er von einer langgezogenen Lagune — der Fleet — vom Landesinneren abgeschnitten, im Westen rahmen ihn monumentale Sandsteinklippen ein.

Zum ersten Mal begegnete mir der imposante Kieselstrand etwa vor einem Jahr, in der Verfilmung von Ian McEwans Novelle On Chesil Beach (dt. Am Strand), mit Saoirse Ronan und Billy Howle in den Hauptrollen. Für mich war es Liebe auf den ersten Blick. Die schiere Dimension des Strands, die einzigartige Geologie, seine historische und kulturelle Bedeutung — schnell reifte in mir die Idee, den Strand irgendwann einmal abzuwandern.

Wie der Zufall es so will, bietet sich genau jetzt die Gelegenheit dazu. Auf der Heimreise von einer Konferenz entschließe ich mich dazu, einen kleinen Zwischenstopp in England einzulegen und nach Dorset zu fahren. Mein Plan ist, den Chesil Beach von Ost nach West einmal komplett abzugehen — und zwar über Nacht.

Ich erreiche Weymouth an einem warmen Septemberabend. Der Himmel über der südenglischen Küstenstadt glüht bereits vom nahenden Sonnenuntergang, die Straßen rund um den Bahnhof sind wie leergefegt. Eigentlich wollte ich schon heute Nachmittag hier sein, doch die Anreise hätte katastrophaler nicht laufen können. Der Flug nach Heathrow? Verspätet. Der Shuttle Bus nach Woking? Verspätet. Der Zug nach Weymouth? Gecancelt. Der nächste Zug nach Weymouth? Auch gecancelt. Der Schienenersatzverkehr nach Basingstoke? Komplett überfüllt. Der nächste Zug nach Weymouth? Natürlich verspätet. Für einen entspannten Spaziergang durch die Kleinstadt bleibt somit keine Zeit. Auch mein Plan, gemütlich zur Isle of Portland hinüberzuwandern, um von dort den Sonnenuntergang über dem Chesil Beach zu beobachten, steht dank dem Anreise-Chaos auf der Kippe. Zu Fuß werde ich es definitiv nicht mehr schaffen, die Halbinsel im Süden von Weymouth rechtzeitig zu erreichen.

Was mich allerdings am meisten ärgert, ist, dass mittlerweile auch schon alle Geschäfte geschlossen haben. Denn eigentlich wollte ich mich hier in Weymouth noch mit Proviant eindecken, bevor ich meinen langen Marsch nach Westen beginne. Doch das kann ich mir abschminken. Jetzt muss ich wohl oder übel mit den eisernen Reserven, die ich noch im Rucksack habe, irgendwie über die Runden kommen. Alles, was ich dabeihabe, sind zwei Liter Wasser, eine Packung Gummibären und eine Dreivierteltafel Schokolade.

Bei einem Taxi-Stand neben dem Bahnhof organisiere ich mir eine Fahrt zur Isle of Portland. Fünf Minuten vor Sonnenuntergang werde ich schließlich von einem älteren Herrn an der Queen Street aufgesammelt. »Zu den Olympischen Ringen«, sage ich und steige ein. Der freundliche Engländer, mit Brille und grauem Dreitagebart im Gesicht, nickt und setzt das Taxi in Bewegung.

Während wir nach Süden rauschen, erzähle ich ihm von meiner heutigen Odyssee. Doch schon bald wandert das Gespräch von einem Thema zum nächsten. Aus Neugier erkundige ich mich nach dem alles bestimmenden Thema dieser Tage, den Brexit-Verhandlungen. Leicht amüsiert davon, dass Boris Johnson heute schon wieder eine Abstimmung im Parlament verloren hat, frage ich ihn nach seiner Meinung. »Ich versteh’ einfach nicht, warum sich die EU da so querstellt«, sagt er und wirft mir einen Blick über den Rückspiegel zu. Wie sich herausstellt, ist er für den Brexit. Ich muss gestehen, es ist interessant, einmal eine Stimme aus dem anderen Lager zu hören. Allzu lange halten wir uns mit diesem leidigen Thema aber nicht auf. Stattdessen beginnt er, mir vom Chesil Beach und seiner Geschichte zu erzählen. Aufmerksam lausche ich, was er zu berichten hat.

Als die Isle of Portland langsam ins Blickfeld rückt, erkundigt er sich schließlich, was ich überhaupt hier draußen will. »Triffst du dich mit jemandem da oben?« »Nein, nein«, sage ich ihm. »Ich will den Chesil Beach abwandern, bis nach West Bay.« »Oh, da hast du aber einen langen Weg vor dir«, meint er trocken. »Naja, solange du nicht direkt am Strand gehst, dürfte es schon gehen«, fügt er nach einer kurzen Pause hinzu. Da werde ich hellhörig — denn genau das ist eigentlich mein Plan. Ich frage ihn, was das Problem mit dem Strand sei. »Naja, es sind halt Kiesel«, erwidert er kurz und knapp. Er empfiehlt mir stattdessen den Küstenpfad, der ein Stückchen weiter im Landesinneren verläuft und deutlich angenehmer zu gehen sein soll.

Dann erreichen wir auch schon die Höhen von Portland (112m). Jahrhunderte des Bergbaus haben hier tiefe Wunden in die Landschaft gerissen. In gigantischen Steinbrüchen wird hier schon seit der Römerzeit der berühmte Portland-Kalk gewonnen. Unter anderem findet man den weiß-grauen Stein in der St. Paul’s Cathedral in London. Es besteht kein Zweifel: der Bergbau ist fest in der Seele der Inselbewohner verankert. Er gehört genauso zu ihrer Identität wie der Fischfang. Stein und Wasser — sie sind die Quintessenz der Jurassic Coast.

Direkt vor den Olympischen Ringen, die an die Segelwettbewerbe von 2012 erinnern, stellt der Taxifahrer schließlich den Wagen ab. Herzlich bedanke ich mich bei ihm, für die Fahrt und für das Gespräch, und steige aus.

Es ist jetzt 19:57 Uhr. Die Sonne ist vor einer Viertelstunde untergegangen, und der Himmel über der Küste von Dorset glüht in einem satten Orange. Über mir sausen ein paar Möwen durch die Dämmerung, dem Festland entgegen. Unter mir, in den Straßen von Fortuneswell und Chiswell, gehen nach und nach die Lichter an. Doch ich habe mittlerweile nur noch Augen für eines: den Chesil Beach. Endlich liegt er mir zu Füßen. Wie gebannt gleiten meine Augen über den gigantischen Bogen aus Kies, bis er sich schließlich irgendwo am Horizont zu verlieren scheint. Links wird er vom Ärmelkanal in Zaum gehalten, rechts vom Wasser der Fleet. Noch kann ich es nicht so recht begreifen, dass ich wirklich hier bin.

Im letzten Licht des Tages mache ich mich schließlich auf den Weg hinunter zum Strand.

Der Blick von der Isle of Portland auf den Chesil Beach mit der Fleet.

Von der Isle of Portland blicke ich hinab auf den Chesil Beach mit der Fleet.

Auf der Promenade von Fortuneswell sitzen noch ein paar junge Leute und genießen den sommerlichen Abend. Die Luft ist warm, der Wind ist still. Das Orange des Sonnenuntergangs ist dem tiefen Blau der Nacht gewichen. Bei den Betonstufen am Ende der Promenade, gut abgeschirmt von den Augen der Nachtschwärmer, wechsle ich noch schnell meine Klamotten. Dann trete ich endlich hinaus auf den Chesil Beach.

Hier, am Ostende des Strands, sind die Kiesel so groß wie Kartoffeln. Nach Westen hin werden sie immer kleiner, bis — wenn man schließlich West Bay erreicht — nicht mehr als feiner Sand übrigbleibt. Es heißt, die einheimischen Fischer nutzen die Größe der Kiesel als Orientierungshilfe. Selbst wenn sie bei Nacht und Nebel am Strand landen, wissen sie dank der Kiesel immer, wo sie sind.

Ein Angler, der mit Rute und Stirnlampe unten am Wasser steht, fährt erschrocken herum, als ich mit einem lauten Knarzen und Knirschen an ihm vorüberziehe. Aus dem Cove House Inn, oben an der Promenade, dringt herzhaftes Gelächter. Und ein sanfter Wind rauscht über die Plane eines Fischerboots, das verloren am Scheitel des Strandes liegt. Ein Stückchen weiter hat sich eine Familie um ein Lagerfeuer geschart.

Ein Fischerboot am Ostende des Chesil Beach.

Ein verlassenes Fischerboot überblickt das Ostende des Chesil Beach.

Einsam stapfe ich an der Krone des Strandes entlang. Während zu meiner Rechten die hell beleuchteten Straßenzüge von Fortuneswell und Chiswell vorüberziehen, breitet sich zu meiner Linken das schwarze Tuch des Ärmelkanals aus. Unten am Ufer stehen die Angler mit ihren Stirnlampen wie an einer Perlenschnur aufgereiht und hoffen darauf, dass Petrus ihnen gewogen ist. Aus Neugier gleite ich hinunter zu einem der Fischer und frage ihn, was man hier so fängt. Doch mehr als ein Schulterzucken und ein kurzes »Ich weiß nicht« hat der junge Mann mit dickem russischem Akzent nicht übrig. Genauso schlau wie zuvor schleppe ich mich wieder die steile Kiesflanke hinauf und gehe weiter.

Es ist eine herrliche Nacht zum Wandern. Hinter der Isle of Portland ist ein schöner Halbmond emporgestiegen und bringt jetzt das dunkle Wasser des Ärmelkanals zum Leuchten. Auch die ersten Sterne zeigen sich mittlerweile am Firmament. Direkt vor mir, über der dunklen Küstenlinie, entdecke ich den Großen Wagen. Eine verlorene Sternschnuppe versucht ihn zu zersprengen.

Ein Halbmond über der Isle of Portland am Chesil Beach.

Ein herrlicher Halbmond steigt über der Isle of Portland empor.

Dann beginnt auch schon der eindrücklichste Abschnitt des Chesil Beach. Rechts von mir weichen die letzten Ausläufer von Chiswell schön langsam der Fleet. Die langgezogene Lagune, die parallel zur Küste verläuft und den Strand vom Landesinneren abschneidet, wird mich die nächsten 13 Kilometer begleiten. Ab jetzt bin ich links und rechts von Wasser umgeben. Genau auf diesen Abschnitt habe ich mich am meisten gefreut, denn hier wird alles auf ein Minimum reduziert. Für die nächsten Stunden besteht meine Welt nur noch aus Wasser, Kies, und dem dunklen Tuch der Nacht. Auch die Zahl der Angler, die unten am Ärmelkanal ihr Glück versuchen, nimmt nun zunehmend ab — bis ich schließlich völlig alleine hier draußen bin.

Die Kiesel sind mittlerweile nur noch golfballgroß.

Der Sternenhimmel über dem Chesil Beach und der Fleet.

Im Schein der Sterne verschwinde ich zwischen dem Ärmelkanal und der Fleet.

Um Mitternacht — mittlerweile bin ich schon seit vier Stunden unterwegs — wird es schließlich Zeit für eine erste Pause. Meine Füße sind müde und mein Magen knurrt. Glücklicherweise entdecke ich vor mir, am Scheitel des Strands, ein kleines verlassenes Fischerboot. Direkt daneben steht eine große Holzkiste, aus deren Bauch ein paar Netze quillen. Hier könnte ich vor dem frischen Wind, der mittlerweile über die Küste streift, halbwegs geschützt sein.

Ich schlüpfe in meine windfeste Bergjacke und streife mir meine windfeste Regenhose über, dann verschwinde ich hinter dem Fischerboot und versuche, es mir bequem zu machen. Da ich direkt von der Konferenz komme, sind meine Mittel allerdings begrenzt. Statt Isomatte und Schlafsack habe ich heute nur Anzug und Laptop dabei — und so muss ich etwas improvisieren. Mein Wäschesack wird kurzerhand zu einer Matratze, mein Rucksack zu einem Rückenpolster.

Der Mond, mittlerweile in ein schönes Orange gehüllt, versinkt jetzt langsam hinter dem Ärmelkanal und bringt die Sterne über Dorset nun noch deutlicher zum Leuchten. Außer dem Flattern meiner Regenhose und dem leisen Rauschen der Wellen ist nichts zu hören. Es ist eine herrliche Nacht!

Ein paar Minuten blicke ich noch hinaus aufs Meer, trinke einen Schluck, und esse ein paar Gummibären sowie ein Stück Schokolade, dann mache ich die Augen zu und versuche, ein wenig zu dösen.

Ein altes Fischerboot am Chesil Beach.

Im Schutz eines alten Fischerbootes schlage ich mein erstes Nachtlager auf.

Eine gute Dreiviertelstunde später rapple ich mich wieder auf und ziehe weiter. Immerhin habe ich noch einen weiten Weg vor mir.

Die Kiesel werden kleiner, das Gehen anstrengender. Immer wieder frage ich mich, wann die Fleet endlich vorbei ist. Doch ein Ende ist nicht in Sicht. Das Einzige, was ich vor mir sehe, sind die Lichter einer größeren Siedlung in der Ferne. »Könnte das vielleicht West Bay sein?« Falls dem so ist, dann scheint mein Ziel noch unendlich weit weg. Aber vielleicht täuscht der Eindruck auch. Und so drehe ich mich zum ersten Mal um, um zu sehen, wie weit ich schon gegangen bin. Doch der Blick zurück ist ernüchternd.

Ich bin mittlerweile schon seit sieben Stunden unterwegs, aber die Isle of Portland, wo mein Abenteuer begann, scheint noch immer greifbar nah. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, ich könnte in einer Stunde locker zurück zu meinem Startpunkt laufen. Mein Gefühl für Distanzen ist hier draußen ganz offensichtlich völlig verzerrt. Es muss am Gelände liegen. Außer Kies und Wasser gibt es hier ja keinerlei Orientierungspunkte.

Auf jeden Fall bin ich deutlich langsamer unterwegs, als ich es mir im Vorfeld ausgemalt hatte. Meine Motivation, meine Zuversicht sind auf einen Schlag wie weggespült, und um ehrlich zu sein, am liebsten würde ich die Tour jetzt abbrechen. Die ganze Unternehmung erscheint mir hoffnungslos. Doch tatsächlich ist Abbrechen im Moment keine Option. Noch immer bin ich links und rechts von Wasser umgeben, und es gibt keinen Ausweg.

Ein altes Fischerboot am Chesil Beach.

Stundenlang stapfe ich durch die sternenklare Nacht.

Genau diese Ausweglosigkeit spielt auch eine zentrale Rolle in Ian McEwans On Chesil Beach. Die preisgekrönte Novelle erzählt die Geschichte von Florence und Edward, einem jungen englischen Pärchen, das im Jahr 1962 in einem Hotel am Chesil Beach ihre Flitterwochen verbringen will. Doch bereits in der Hochzeitsnacht wird ihre Ehe auf eine Probe gestellt. Denn die beiden frisch Vermählten haben gänzlich unterschiedliche Erwartungen an das Eheleben.

Während es Edward kaum erwarten kann, endlich mit der Frau, die er liebt, zu schlafen, würde Florence am liebsten auf jegliche Art von Intimität verzichten. Tatsächlich kann sie es kaum ertragen, von ihm berührt zu werden. Es ist die Folge eines traumatischen Ereignisses in ihrer Kindheit — einem Ereignis, von dem Edward nichts weiß und von dem Florence nicht sprechen kann. Die Tabuisierung des Sexualdiskurses der frühen 1960er Jahre tut das Übrige.

In der Hochzeitsnacht prallen beide Welten schließlich gnadenlos aufeinander. Edward ist übereifrig, Florence ist angewidert. Schließlich flüchtet sie vor ihrem Mann, der gekränkt im Hotelzimmer zurückbleibt. Er findet sie erst später, weit draußen am Chesil Beach, und stellt sie zur Rede.

Dass die finale Konfrontation zwischen dem jungen Pärchen ausgerechnet hier am Strand stattfindet ist kein Zufall. Das wird mir erst hier draußen so richtig bewusst. So ausweglos Florence und Edwards Dilemma scheint, so ausweglos scheint auch der Chesil Beach. Es gibt für sie kein Entkommen — genauso wie es für mich, eingekeilt zwischen Fleet und Ärmelkanal, im Moment kein Entkommen gibt.

Der Chesil Beach mit der Fleet.

Eingezwängt zwischen Fleet und Ärmelkanal gibt es kein Entkommen.

Da mir nichts anderes übrigbleibt, schleppe ich mich weiter durch die südenglische Nacht und versuche mich mit dem Singen einiger Lieder bei Laune zu halten. Da vor ein paar Tagen erst die neue Snow Patrol Platte herausgekommen ist, steht die Songauswahl schnell fest. »I think of home, I often do / You gotta know I love you now / In this light, how could I not?« keuche ich in die Nacht, während ich an den nächsten Fischerbooten vorüberziehe.

Die Kiesel sind mittlerweile nur noch zwetschgengroß.

Langsam brauche ich wieder eine Pause. Ich halte Ausschau nach einem weiteren Fischerboot, hinter dem ich etwas Schutz finden könnte — doch außer Kieseln ist nichts in Sicht. Dann, mitten im Nirgendwo, stoße ich plötzlich auf einen kleinen gemauerten Unterschlupf. Der vermeintliche Bunker ist bereits halb im Kies versunken und weist eine ordentliche Schieflage auf. Irgendwie kommt er mir bekannt vor.

Kurz leuchte ich mit der Stirnlampe hinein, doch das Innere des Bunkers sieht nicht sonderlich einladend aus, und so schleiche ich erst einmal um das Gebilde herum und mache es mir schließlich draußen, auf der seezugewandten Seite, bequem. Im Vergleich zu meinem ersten Nachtlager finde ich hier allerdings kaum Schutz vor dem kühlen Wind, der noch immer über den Strand streift. Ich versuche ein wenig zu schlafen, doch die Kälte der frühen Stunden weckt mich immer wieder auf.

Nachdenklich blicke ich hinaus auf das dunkle Tuch des Atlantiks. Ich denke an meine Bekannte in Vancouver, mit der ich gewettet habe, dass ich es schaffe, den Chesil Beach komplett abzugehen. Ich denke an Robert Macfarlane und seine Nacht auf den Kieseln von Orford Ness. Und ich denke an Ian McEwans Novelle.

Erst gestern, auf dem Flug nach London, habe ich mir die Verfilmung von On Chesil Beach noch einmal angesehen — als Einstimmung auf meine Wanderung.

Während ich den Film jetzt noch einmal in meinem Kopf Revue passieren lasse, kommt mir endlich, warum mir mein Unterschlupf so bekannt vorkommt. Ich habe ihn im Film gesehen! Nur ein paar hundert Meter von hier wurde die finale Konfrontation zwischen den frisch Vermählten gefilmt. Nicht weit von hier saß Saoirse Ronan als Florence, mit ihrem himmelblauen Kleid, auf einem alten Fischerboot und blickte nach der Flucht vor ihrem Mann aufgelöst aufs Meer hinaus. Nicht weit von hier fand Billy Howle als Edward seine Ehefrau und stellte sie zur Rede.

Ich erinnere mich an den ersten Satz, den Edward ihr wütend entgegenschleudert. »Did you really need to come this far?!« Jetzt, wo ich mich selbst stundenlang über die Kiesel des Chesil Beach gequält habe, bekommt Edwards Frust für mich eine völlig neue Dimension. Die Kränkung im Ehebett ist eine Sache, aber musste dieser quälende Kies-Hatscher auch noch sein?

Bildergalerie: Chesil Beach

Eine gute Stunde, vielleicht etwas länger, liege ich im Schatten des Unterschlupfs. Dann, als es hinter der Fleet langsam zu dämmern beginnt, mache ich mich wieder auf den Weg. Außer einem aufgebrachten Feldhasen, der bald an mir vorbeisaust und hinunter zur Lagune hoppelt, bin ich immer noch allein unterwegs.

Um 06:57 Uhr bricht endlich die Sonne hinter der Fleet hervor und läutet einen neuen Tag ein. Ich bin froh, der Eintönigkeit der Nacht endlich zu entkommen. Ein warmes Gelb legt sich nun auf das Wasser der Lagune, ein paar dunkelgraue Kumuluswolken treiben von Osten her über das blaue Firmament, und das bisher eher karge Grau-Braun der Kiesel wird jetzt immer öfter vom Grün des Klippen-Leimkrauts und der Strand-Platterbsen durchbrochen. Ich halte kurz inne und werfe einen Blick zurück. Wie umwerfend, ja, wie bezaubernd erscheint mir der endlose Bogen des Chesil Beach jetzt im ersten Licht des Tages! Es ist schwer, den Charme dieses Morgens in Worte zu fassen.

Ein Sonnenaufgang über dem Chesil Beach und der Fleet.

Nach einer langen Nacht wagt sich die Sonne wieder hinter der Fleet hervor.

Rechts von mir sehe ich bald Hunderte von Höckerschwänen, die auf den letzten Metern der Fleet ihre morgendlichen Bahnen ziehen. Sie gehören zur altehrwürdigen Abbotsbury Swannery, die sich auf der anderen Seite der Lagune befindet. Ein paar Meter weiter erhebt sich das sanfte Haupt des Chapel Hill (80m), von dem das alte Gemäuer der St. Catherine’s Chapel auf mich herunterblickt. Die malerisch gelegene Kapelle aus dem 14. Jahrhundert diente lange Zeit den Benediktinern aus dem nahegelegenen Abbotsbury als Rückzugsort. Mir bleibt heute allerdings nur ein verstohlener Blick aus der Ferne.

Dann ist es endlich so weit: Ein graues Betongerippe, das vom Scheitel des Strands zu einem weiten Schilfbett hinabläuft, markiert das lang ersehnte Ende der Fleet. Ich erkenne es sofort. Genau hier gingen Saoirse Ronan und Billy Howle in der ersten Szene von On Chesil Beach vorüber. Bei dem Gerippe handelt sich um eine zweireihige Panzersperre, die kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zur Verteidigung der Küste angelegt wurde. Unmittelbar daneben entdecke ich auch noch einen alten Bunker, der jedoch schön langsam vom Kies verschlungen zu werden scheint.

Die Panzersperren am Ende der Fleet auf dem Chesil Beach.

Zwei Reihen Panzersperren aus dem 2. Weltkrieg markieren das Ende der Fleet.

Ich kann es nicht fassen, dass ich die Fleet nun endlich hinter mir habe. Der erste große Meilenstein ist erreicht. Doch es hat viel länger gedauert, als ich es mir je ausgemalt hätte. Mittlerweile bin ich schon seit elfeinhalb Stunden unterwegs. Wenn es mit diesem zähen Tempo weitergeht, dann werde ich West Bay erst in den späten Abendstunden erreichen — wenn überhaupt. Ich kann nur hoffen, dass sich mir die zweite Hälfte des Chesil Beach etwas gnädiger zeigt.

Mit dem Ende der Fleet endet auch die Abgeschiedenheit. Das verdeutlicht ein Blick hinunter zum Ufer, wo sich jetzt — zum ersten Mal seit langer Zeit — wieder Angler über Angler aneinanderreihen. In der Hoffnung, bald wieder die Zivilisation zu erreichen, mache ich mich über die letzten Reste meines Proviants her.

Kurz hinter einem Schild, das rückblickend einige wichtige Warnhinweise zum Fleet-Abschnitt bereithält (»Walking on pebbles is hard going«), kann ich die Kiesel endlich verlassen. Ein breiter Brettersteig führt mich hinab zum Parkplatz am Buller’s Way, der in diesen frühen Morgenstunden noch nicht sonderlich voll erscheint. Ich sehe mich kurz um und studiere ein paar Info-Tafeln zur Flora und Fauna der Gegend; dann biege ich auf die Burton Road ein, die direkt hinter dem Strand der Küstenlinie folgt.

Ein Brettersteig führt vom Chesil Beach zum Parkplatz am Buller’s Way.

Ein hölzerner Brettersteig führt mich hinunter zum Parkplatz am Buller’s Way.

Ich freue mich, jetzt endlich wieder festen Grund unter den Füßen zu haben. Unter den trompetenhaften Rufen einiger Kanadagänse, die in V-Formation über mich hinweg landeinwärts fliegen, ziehe ich weiter nach Westen. Aus den Brombeersträuchern und Schlehdorngewächsen am Wegesrand dringt der süße Gesang der Fitislaubsänger und Rotkehlchen, und vom Strand erklingt das hektische Geflatter der Fasane, die aufgebracht durch das Leimkraut und die Wilden Karden huschen.

Mein Intermezzo auf der Burton Road währt allerdings nur kurz, denn aus der Teerstraße wird bald eine Naturstraße, und aus der Naturstraße ein Kieselpfad. Und so trete ich bei der nächsten Gelegenheit auch schon wieder hinaus auf den Strand.

Die Kiesel sind mittlerweile nur noch bohnengroß.

Um 08:58 Uhr erreiche ich schließlich die Ausläufer von West Bexington (10m). Der Parkplatz oberhalb des Strands ist bereits gut gefüllt. Ausflügler stapfen bewaffnet mit Klappstühlen und Sonnenschirmen hinunter zum Wasser, Angler hieven ihre Ruten und Kühlboxen aus den Kofferräumen. Lange schaue ich mir den Trubel allerdings nicht an. Stattdessen begebe ich mich endlich auf die Suche nach etwas Essbarem.

Ein paar Meter die Straße hinauf entdecke ich zu meiner Freude gleich ein Restaurant: The Club House. Während eine junge Frau bereits die rustikalen Tische auf der Terrasse deckt, stapfe ich hinauf zum Eingang und sehe mir die Speisekarte an. Ich kann es kaum erwarten, endlich etwas Ordentliches zwischen die Zähne zu bekommen. Doch die Vorfreude ist wie weggeblasen, als mein Blick auf die Öffnungszeiten fällt. »Das Restaurant macht ja erst in einer Stunde auf!«

Kurz überlege ich, was ich machen soll: warten oder weitergehen? Nach kurzem Hin und Her entschließe ich mich für die erste Option. Ich brauche unbedingt etwas zu essen, wenn ich heute noch nach West Bay kommen will. Und so trotte ich langsam zurück zum Strand und mache es mir dort erst einmal gemütlich. An einen wuchtigen Felsen gelehnt, genieße ich die warme Morgensonne, blicke hinaus aufs Meer, und fahre mit meinen Fingern durch die glattgespülten Kiesel. Es sind schöne Steine, jeder mit einem einzigartigen Muster und Glanz.

Ich erinnere mich an Ian McEwan, der vor ein paar Jahren Probleme mit der Justiz bekam, weil er ein paar der Kiesel vom Chesil Beach mit nach Hause genommen hatte. Um nicht 2000 Pfund Strafe zahlen zu müssen, brachte er sie schließlich zurück an ihren angestammten Ort.

Pünktlich um 10:00 Uhr stehe ich wieder vor dem Club House. Auf der Terrasse haben es sich die ersten Gäste bereits gemütlich gemacht. Unter anderem sitzt dort eine englische Familie, im feinsten Sonntagsgewand. Im Vergleich zu ihnen muss ich nach meiner Nacht am Strand wie ein Vagabund erscheinen. Nichtsdestotrotz erbarmt sich die Wirtin meiner und weist mir ein sonniges Plätzchen auf der Veranda zu.

Zum Auftakt bestelle ich mir erst einmal einen Americano Kaffee und ein Croissant mit Butter. Als Hauptgang lasse ich mir noch ein anglo-indisches Reisgericht — ein Kedgeree — von der Bedienung bringen. Es ist schlichte Kost, aber an diesem Morgen bin ich froh um jeden Bissen, den ich zwischen die Zähne bekommen kann. Wie so oft braucht es erst eine Ausnahmesituation, damit man die einfachen Dinge des Lebens wieder so richtig zu schätzen weiß.

Nachdem der Teller geleert, die Schüssel ausgelöffelt ist, plaudere ich noch kurz mit der Bedienung und begleiche meine Rechnung. Dann trete ich wieder hinaus auf den Chesil Beach, um meinen Marsch nach West Bay fortzusetzen.

Der Chesil Beach bei West Bexington.

Nach einem herzhaften Frühstück im Club House wende ich mich wieder dem Strand zu.

Was ich noch nicht weiß ist, dass mich jetzt der mit Abstand zähste Abschnitt der gesamten Wanderung erwartet. Die Kiesel sind mittlerweile so fein, dass ich mit jedem Schritt bis zu den Knöcheln versinke. Das Gehen wird so anstrengend, so quälend, dass ich vor Erschöpfung alle paar Meter anhalten muss, um meinen müden Beinen etwas Rast zu gönnen. Ich versuche die Motivation hochzuhalten, indem ich mir immer wieder kleine Etappenziele stecke, doch das hilft nur bedingt. Die Sandsteinklippen am Horizont wollen einfach nicht näherkommen. Dass mir in der Mittagshitze nun auch die Wasserreserven auszugehen drohen, macht die Sache nicht besser.

Ich versuche mein Glück mit verschiedenen Routen. Doch egal, ob ich oben am Scheitel des Strandes entlanggehe oder unten direkt am Wasser, das Ganze ist und bleibt eine zähe Angelegenheit. Erst nach einiger Zeit, als ich rechts von mir immer mehr andere Wanderer entdecke, entscheide ich mich, mir auch einmal den hinteren Bereich des Strandes genauer anzusehen. Tatsächlich lässt es sich hier deutlich besser gehen. Vielleicht liegt es an der Vegetation? Der Echte Meerkohl, der hier auf der seeabgewandten Seite prächtig gedeiht, scheint den Grund ziemlich gut zu stabilisieren.

Als ich wenig später den ersten kleinen Klippenabschnitt erreiche, löse ich mich erst einmal vom Strand und steige zwischen goldgelben Gräsern den sandigen Klippenpfad hinauf, in der Hoffnung von oben ein paar gute Ausblicke über die Küste zu erhaschen. Gerne würde ich bis zur Abbruchkante gehen, doch das brüchige, von Rissen durchzogene Terrain macht keinen vertrauenerweckenden Eindruck, und so bleibe ich auf dem Weg. Nachdem ich eine Reihe schmuckloser, weißer Ferienwohnungen passiert habe, fällt der Pfad auch schon wieder ab und mündet in den Hive Beach (10m), wie die nächste kleine Bucht auch genannt wird.

Die Kiesel sind mittlerweile nur noch erbsengroß.

Der Hive Beach südlich von Burton Bradstock.

Über eine erste Klippenformation geht es hinab zum geschäftigen Hive Beach.

Hier, im Süden von Burton Bradstock, herrscht heute reges Treiben. Der Parkplatz oberhalb des Strandes ist bis zum Bersten gefüllt, und unzählige Ausflügler tummeln sich zwischen den Klippen und vor dem Hive Beach Café. Da es mittlerweile schon Mittag ist und ich keine Wasserreserven mehr habe, nutze auch ich die Gelegenheit nochmal für eine Pause. Auf der überdachten Terrasse des Cafés kann ich glücklicherweise noch einen Platz ergattern. Als die Bedienung nach einiger Zeit an meinen Tisch kommt, bestelle ich mir erst einmal eine Pepsi und einen Teller Fish ‘n Chips. Denn was wäre eine Reise nach Dorset ohne die englische Nationalspeise? Glücklicherweise muss ich nicht lange auf mein Essen warten.

Während ich mich über den frittierten Kabeljau und die handgeschnittenen Fritten hermache, beobachte ich den hektischen Trubel vor der Terrasse. Was für ein Kontrast zu meiner einsamen Nacht bei der Fleet! Beim ersten Anflug von Melancholie richte ich aber den Blick wieder nach vorne, auf die nächste und hoffentlich letzte Etappe meiner langen Reise.

Nachdem ich bei der Bedienung meine Rechnung beglichen habe, fülle ich auf der Toilette noch schnell meine Wasserflaschen auf. Dann trotte ich, unter dem Gelärm der Touristen, wieder hinab zum Strand.

Ein großes Schild warnt hier eindringlich vor dem nächsten Klippenabschnitt. Generell sind die Sandsteinformationen entlang der Jurassic Coast äußerst fragil, und immer wieder kommt es hier zu großen Felsstürzen. Vor sieben Jahren starb nicht weit von hier eine junge Frau, als ein Teil der Burton Cliffs über ihr zusammenbrach und sie begrub. Ein bisschen mehr Glück hatten zwei Wanderer im März dieses Jahres, als ein 1000-Tonnen-Felssturz bei den East Cliffs sie nur um wenige Meter verfehlte.

Die Burton Cliffs am Chesil Beach.

Im Schatten der eindrucksvollen Burton Cliffs ziehe ich weiter nach Westen.

Um das Risiko, erschlagen zu werden zu minimieren, versuche ich mich möglichst nah am Wasser zu halten, soweit weg von den ockerfarbenen Sandsteinwänden, wie es nur geht. Einige Ausflügler haben jedoch allem Anschein nach eine andere Risikokalkulation gemacht. So sehe ich unter anderem eine junge Frau, die es sich mit ihrem Handtuch direkt unter einem Überhang gemütlich gemacht hat.

Zügig ziehe ich unter den monumentalen Klippen mit all ihren klar definierten Gesteinsschichten vorüber, der Schaum der hereinbrechenden Wellen nie mehr als einen Fuß weit von mir entfernt. Immer wieder entdecke ich riesige Risse und Spalten in den Sandsteinwänden, die sich bis zu 50 Meter hoch über mir aufbauen. Hie und da bedecken sogar noch die Trümmer von vergangenen Felsstürzen den Strand. Eine gespenstische Mischung aus Faszination und Ehrfurcht liegt über diesem Küstenabschnitt.

Gute 25 Minuten dauert mein Marsch im Schatten der Burton Cliffs, dann habe ich ihr Ende erreicht. Ein weiter Kieselstrand breitet sich jetzt vor mir aus. Unten am Ufer sitzen ein paar Angler und blicken nachdenklich aufs Meer hinaus. Insgesamt ist es hier aber vergleichsweise ruhig. Ich halte kurz inne, um einmal tief durchzuatmen und mich umzusehen. Hinter einer Düne am Ende des Strands blitzen einige Ferienwohnungen, mit ihren weißen Fassaden und mausgrauen Dächern, hervor. Direkt daneben bauen sich mit den East Cliffs bereits die nächsten eindrucksvollen Sandsteinformationen auf.

Doch mit den Gedanken bin ich momentan beim River Bride, der hier irgendwo zwischen den Klippen ins Meer münden soll. Er stellt die letzte nennenswerte Hürde auf meinem Weg nach West Bay dar. Mental bereite ich mich schon darauf vor, ihn durchwaten zu müssen. Aber von einem Fluss ist hier tatsächlich weit und breit nichts zu sehen. »Bin ich etwa falsch?« An meinem Orientierungssinn zweifelnd, ziehe ich weiter.

Der Strand zwischen den Burton Cliffs und den East Cliffs am Chesil Beach.

Ein weiter Kieselstrand trennt die Burton Cliffs von den East Cliffs.

Während die meisten anderen Wanderer schon bald auf den schmalen Trampelpfad einbiegen, der rechterhand die East Cliffs hinaufführt, bleibe ich erneut der Küste treu und verschwinde jetzt wieder im Schatten der Klippen. Auch hier kommt es immer wieder zu massiven Felsstürzen. Mal ist es Starkregen, der den anfälligen Sandstein destabilisiert, mal sind es die hereinbrechenden Wellen, die die tragenden Gesteinsschichten unterspülen. Was die Naturgewalten einst aufgebaut haben, reißen sie nun wieder nieder.

Während ich ehrfurchtsvoll unter den ockerfarbenen Wänden vorüberschreite, entdecke ich plötzlich ein Stückchen weiter den Strand hinauf, jenseits der Klippen, eine lange, dunkle Struktur, die ins Meer hinausragt. Zunächst halte ich es nur für einen alten Kahn, der hier vor der Küste ankert. Doch je näher ich ihm komme, desto mehr komme ich ins Grübeln.

»Das ist kein Kahn…«, dämmert es mir plötzlich. »Das ist ein Pier!« Tatsächlich sieht er genauso aus, wie der Pier aus Broadchurch — der britischen Krimiserie mit David Tennant und Olivia Colman. Auf einen Schlag kommen mir auch die Klippen äußerst bekannt vor. Stürzte nicht genau hier der kleine Danny Latimer zu Beginn der ersten Folge in die Tiefe? Mit jedem Schritt festigt sich meine Überzeugung, dass ich West Bay (2m) — das Ziel meiner Odyssee — endlich vor mir habe. Dass das Ende so nah ist, damit hatte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet. Die müden Beine, die schmerzenden Waden sind schlagartig vergessen und ein Hauch von Euphorie macht sich breit. Wie beflügelt lasse ich die letzten Meter der East Cliffs hinter mir und betrete endlich den Strand von West Bay.

Was gestern Abend auf kartoffelgroßen Kieseln begann, findet jetzt auf feinstem Sand sein Ende.

Die East Cliffs und der Chesil Beach bei West Bay.

Der kleine Küstenort West Bay markiert das Ende des Chesil Beach.

Um 14:21 Uhr verlasse ich endlich den Chesil Beach und steige über eine paar Betonstufen hinab auf die Promenade. Noch kann ich es kaum glauben, dass ich es wirklich geschafft habe. Nach 30 Kilometern und mehr als 18 Stunden ist mein Marsch tatsächlich zu Ende. Mit einem breiten Lächeln lasse ich mich auf eine Holzbank am East Pier fallen und atme erst einmal tief durch. Es war eine anstrengende Reise, aber auch eine unvergessliche.

Da ich noch zwei Stunden habe, bis der nächste Bus zurück nach Weymouth kommt, nutze ich die Gelegenheit noch für einen kleinen Stadtbummel. Bewaffnet mit einer Zitronen-Limonade, die ich mir in einem kleinen Souvenirladen am Hafen gekauft habe, schlendere ich kurz darauf durch die geschäftigen Gassen von West Bay und steige mit allerletzter Kraft sogar noch die Klippen im Osten empor. Von dort werfe ich nochmal einen letzten Blick zurück aufs ferne Portland, wo mein Abenteuer gestern Abend begann. Dann kehre ich zurück zum Strand, wo ich vor Erschöpfung erst einmal einschlafe.

Der Blick von den East Cliffs auf West Bay und das Ende des Chesil Beach.

Von den East Cliffs werfe ich einen letzten Blick auf das Ende des Chesil Beach.

StationenDistanzDifferenzZeit
Isle of Portland
→ West Bexington +21,5 km 10 m ↑112 m ↓+13h 00m
→ Hive Beach +4,8 km 5 m ↑ 5 m ↓ +1h 30m
→ West Bay +3,3 km 2 m ↑ 10 m ↓ +1h 00m
Gesamt 29,6 km 17 m ↑127 m ↓ 15h 30m