Übersicht
Dieser Bericht behandelt die Überschreitung des Lynn Peak in den North Shore Mountains bei Vancouver. Unsere Wanderung beginnt am Eingang des Lynn Canyon Parks und führt uns über den Lynn Peak Trail zunächst zum lohnenden Lynn Peak Lookout. Anschließend folgen wir dem Lynn Ridge Trail nach Norden und überschreiten dabei sowohl den Süd- als auch den Nordgipfel. Im Sattel zwischen dem North Lynn Peak und der South Needle verlassen wir schließlich den Grat und steigen über den Hydraulic Creek Trail hinab zum Seymour River. Dort gönnen wir uns eine wohlverdiente Abkühlung, ehe es über den Fisherman’s Trail und den Homestead Trail wieder zurück zu unserem Ausgangspunkt geht.
Die Lynn Peak-Überschreitung. Schon seit einer ganzen Weile steht sie auf meinem Zettel. Bereits im Mai hatte ich die selten begangene Traverse im Alleingang versucht, musste aber kurz unterhalb des Südgipfels im hüfthohen Schnee den Rückzug antreten. Nun, da selbst der letzte Altschnee verschwunden ist, wollen mein Begleiter und ich es noch einmal mit der Überschreitung versuchen.
Hüfthoher Schnee stoppte mich im Mai kurz unterhalb des Südgipfels.
Kurz nach 08:30 Uhr setzt uns der Bus an der Underwood Ave in North Vancouver (196m) ab. Wir haben wieder einmal einen herrlichen Tag zum Wandern erwischt. Der Himmel ist wolkenlos und bereits jetzt am frühen Morgen weht uns eine warme Sommerbrise entgegen. Die Voraussetzungen könnten nicht besser sein! Ehe wir gleich die Traverse in Angriff nehmen, legen wir noch schnell einen kurzen Stopp beim Dorfladen am Ende der Straße ein, um etwas Proviant zu kaufen. Eingedeckt mit kräftigem Kaffee und frischen Sandwiches machen wir uns anschließend auf den Weg.
In den ersten Strahlen der Sonne stapfen wir über die Rice Lake Road hinab zur Pipeline Bridge, die sich über den Lynn Creek spannt. Kurz halten wir inne und beobachten, wie sich der tosende Wildbach durch den engen Canyon zwängt, dann zieht es uns aber auch schon weiter. Beim Pavillon am Ende des Weges halten wir uns links und folgen der breiten Forststraße nach Norden – hinein in die Wildnis der North Shore Mountains! Es dauert nicht lange, bis wir die Abzweigung zum Rice Lake erreichen, doch heute lassen wir den bei Anglern beliebten See unbeirrt rechts liegen und spazieren stattdessen – immer schön am Lynn Creek entlang – weiter nach Norden. Immerhin haben wir heute noch eine Menge vor!
»Der nächste Abschnitt ist zum Kotzen«, warne ich meinem Begleiter, als wir schließlich die Abzweigung zum Lynn Peak Trail erreichen. Von meinem letzten Versuch im Mai habe ich noch die Bilder im Kopf, wie ich mich hier fluchend den Hang hinauf geschleppt habe. Doch zu meiner Überraschung geht der Aufstieg heute deutlich leichter von der Hand, und so muss ich bereits nach ein paar Serpentinen mein vernichtendes Urteil korrigieren: »Okay, sooo übel ist der Trail eigentlich doch nicht!« Mein Begleiter nickt. Langsam aber stetig kämpfen wir uns über den schönen Waldpfad immer höher und treffen dabei auch ein paar Gleichgesinnte, die den Lynn Peak Lookout (921m) zum Ziel haben.
Auf dem schönen Lynn Peak Trail gewinnen wir schnell an Höhe.
»Zeit für eine Pause!«, jauchze ich, als der geräumige Aussichtspunkt nach zwei Stunden schließlich vor uns auftaucht. Während die anderen Wanderer sich schnurstracks in die Sonne legen, suchen wir uns ein schattiges Plätzchen am oberen Ende der felsigen Lichtung. Zufrieden setzen wir die Rucksäcke ab und holen unseren Proviant hervor. Während wir unsere Energiereserven wieder etwas auffüllen, genießen wir den herrlichen Blick gen Süden. Wie ein Messer zerschneidet dort das Burrard Inlet die Landschaft in zwei Teile. Während sich direkt zu unseren Füßen noch ein idyllisches Waldgebiet ausbreitet, dominiert auf der anderen Seite des Fjords der Großstadttrubel. Dahinter, fern am Horizont, lässt sich heute auch Vancouver Island erkennen. Lange bleiben wir sitzen und lassen unsere Augen über das herrliche Panorama schweifen. So sollte es auch sein! Schließlich ist der Lookout der einzige Punkt der Tour, der etwas Aussicht bietet!
Der einzige Aussichtspunkt der Tour ist der Lynn Peak Lookout.
South Lynn Peak | |
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Land | Kanada |
Gebirge | Coast Mountains |
Kamm | North Shore Mountains |
Höhe | 999 m |
Koordinaten | 49°23′06″N, 123°01′04″W |
Nachdem wir ein paar Schnappschüsse gemacht haben, packen wir wieder unsere Sachen und verschwinden erneut im Dickicht des Regenwaldes. Dort dünnt sich der Besucherstrom nun deutlich aus. Ja, im Endeffekt sind wir von jetzt an völlig alleine unterwegs. Doch das war zu erwarten. Immerhin ist der Lynn Ridge Trail, der nun vor uns liegt, kein offizieller Wanderweg! Immer wilder wird die Vegetation, immer schmaler der Pfad. Umgestürzte Bäume und zerschmetterte Äste prägen das Bild. Als wir nach ein paar Minuten mit dem South Lynn Peak (999m) den ersten Gipfel des Tages erreichen, sind wir wenig beeindruckt. Außer etwas Gestrüpp und Gehölz gibt es auf der unscheinbaren Kuppe nicht viel zu sehen.
Der Lynn Ridge Trail ist kein offizieller Wanderweg, und das merkt man auch!
Unbeirrt setzen wir also unseren Marsch nach Norden fort und folgen dabei den roten Schleifen der Bergrettung durch das chaotische Dickicht. Als es auf einmal steil nach unten geht, kommen erste Zweifel auf. »Ist das wirklich der richtige Weg?«, fragt mich mein Begleiter. Ich zucke nur mit den Schultern. Doch da es hier oben am Kamm nur einen einzigen Weg gibt, können wir uns eigentlich nicht verlaufen haben. »Schauen wir’s uns einfach mal an«, sage ich.
Nachdem wir zunächst ordentlich an Höhe verlieren, geht es schon bald wieder steil bergauf. Als der Waldpfad nach ein paar Minuten wieder abflacht, suchen wir aufmerksam den Kamm ab. »Jetzt müsste der (North) Lynn Peak (1015m) eigentlich gleich kommen!« Aber wie sollen wir ihn nur erkennen? Eine Anhöhe nach der nächsten suchen wir ab, aber von einem Gipfel ist nichts zu sehen. Es gibt keine Steinmänner, keine Plaketten, kein nichts! Als wir die letzte Kuppe des Kamms erreichen – direkt vor uns geht es wieder ordentlich bergab – geben wir auf. »Vermutlich sind wir schon daran vorbei«, sage ich resigniert.
(North) Lynn Peak | |
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Land | Kanada |
Gebirge | Coast Mountains |
Kamm | North Shore Mountains |
Höhe | 1015 m |
Koordinaten | 49°23′43″N, 123°00′53″W |
Plötzlich steigt uns von unten ein junger Mann entgegen. Als er uns erreicht, fragen wir ihn nach dem Gipfel. Das, worauf wir gerade stehen, sei der (North) Lynn Peak (1015m), meint er. »Hier hat jeder kleine Gratzacken einen Namen, wenn auch nur inoffiziell«, fügt er hinzu. Dann deutet er auf den felsigen Koloss jenseits der Scharte: »Das ist die South Needle (1163m). Da ist auch ʹn Typ unterwegs, aber der hat kein Wasser mehr.« Bei der heutigen Hitze ist das kein Wunder. Auch unsere Wasservorräte gehen mittlerweile zur Neige. Schließlich fragt uns der sportliche Kanadier, wie wir absteigen wollen. »Über den Hydraulic Creek, wenn wir ihn denn finden...«, sage ich. »Keine Sorge, den könnt ihr nicht verfehlen«, beruhigt er uns.
In der Tat finden wir die Abzweigung gleich auf Anhieb. Nachdem wir uns durch allerhand dichtes Gestrüpp bis zum Sattel hinab gekämpft haben, stoßen wir schon bald auf einen Baum, an dem ein paar handgeschriebene Plaketten angebracht sind. Geradeaus geht’s in 45 Minuten hinauf zur South Needle (1163m), rechterhand über den Hydraulic Creek zurück zu den Lynn Headwaters. Doch dafür muss man – laut Wegweiser – drei, vier Stunden einplanen. »Das ist eine Hausnummer!« Aber es hilft ja nichts, da müssen wir nun durch!
Wer die Abzweigung zum Hydraulic Creek Trail sucht, sollte die Augen offen halten!
Ohne zu zögern wenden wir uns nach rechts und folgen den gelben Wegmarken vorsichtig talwärts. Zu unserer Überraschung ist der Hydraulic Creek Trail deutlich steiler und wilder als erwartet. Die lange Hitzewelle hat den Waldboden vollkommen ausgetrocknet, und jeder Schritt wirbelt eine Staubwolke auf, in der loses Gestein und trockene Erde talwärts stürzen. Auch die Bäume entlang des Weges machen einen geschundenen Eindruck. Teilweise sieht es so aus, als wäre hier eine Bombe explodiert. Holzsplitter türmen sich am Wegesrand, Baumfetzen liegen aufeinander, Mammutbäume zerbröseln zu Streichhölzern. Es dauert eine lange Zeit, bis wir das Trümmerchaos hinter uns lassen können. Erst als wir den Hydraulic Creek am Fuße des Hanges erreichen, fängt das Landschaftsbild an sich zu wandeln. Plötzlich prägen wieder satte Farne und grünes Moos das Bild. Es ist ein Traum!
Endlich: Wir sind zurück im Regenwald!
Doch das Vergnügen währt nur kurz. Schon bald blitzt hinter dem Dickicht eine geteerte Straße hervor. Es ist der Seymour Valley Trail. Wir sind also zurück in der Zivilisation! Kurz studieren wir die Karte am Wegesrand, dann wenden wir uns auch schon dem Hydraulic Connector zu, der direkt neben dem nahegelegenen Picknickplatz wieder in den Wald hinein führt. Die breite Schotterpiste wirkt nach den vorherigen Passagen fast wie eine Luxusallee. Gemütlich folgen wir dem Weg nach Osten und achten darauf, möglichst nicht von einem MTB erfasst zu werden. Keine zehn Minuten später stoßen wir bereits wieder aus dem Wald hervor und erreichen mit der Seymour Mainline die nächste große Straße.
Ein traumhafter Waldweg: Der Hydraulic Connector kann sich sehen lassen!
»Schau dir das an!« ruft mein Begleiter und deutet auf einen weißen Aufsteller am Straßenrand. »The 100« steht darauf geschrieben. Anscheinend wird hier gerade eine neue Netflix-Serie gefilmt, und tatsächlich finden wir auf einem angrenzenden Parkplatz einige Set-Anlagen. Von der Filmcrew ist heute Nachmittag allerdings nichts mehr zu sehen.
Bevor wir gleich weitermarschieren, holen wir noch einmal die Sonnencreme hervor. Noch immer brennt die Sonne gnadenlos vom Firmament herab, und der Weg, der vor uns liegt, verspricht nicht sonderlich viel Schatten. »Ich kann’s kaum erwarten, die Füße in den Seymour River zu halten«, sage ich. Auch mein Begleiter freut sich schon auf die wohlverdiente Abkühlung im klaren Bergwasser. Doch bevor es soweit ist, müssen wir noch ein Stückchen gehen. Schnell verstauen wir die Sonnencreme wieder im Rucksack, dann geht es über den Fisherman’s Trail weiter nach Süden. Lange stapfen wir am verlockend plätschernden Seymour River entlang, bis wir schließlich eine Lichtung am Wegesrand finden, die uns zum Wasser hinab lässt. »Na endlich!«, rufe ich. Freudig zwängen wir uns durchs Gebüsch hinab zum Ufer und ziehen die Schuhe aus. Dann springen wir ins erfrischend kühle Nass. Es ist das Highlight des Tages!
Das Highlight des Tages: Am Seymour River erwartet uns eine wohlverdiente Abkühlung!
Lange halten wir die Füße in den Seymour River und genießen dabei das sonnige Wetter, dann müssen wir uns aber doch langsam wieder dem Rückweg zuwenden. Über den schier endlos scheinenden Fisherman’s Trail geht es nun immer weiter gen Süden, bis wir schließlich die Abzweigung zum Homestead Trail erreichen. Dieser bringt uns schon bald zurück zur Seymour Filtration Plant. »Na endlich!«, schnaufe ich, als wir den Pavillon wieder erreichen. »Ja, das war eine laaange Tour«, nickt mein Begleiter. Erschöpft, aber zufrieden überqueren wir wieder die Pipeline Bridge und stapfen langsam die Rice Lake Road hinauf. Beim Dorfladen am Ende der Straße legen wir noch einmal einen kurzen Stopp ein, um uns eine Erfrischung zu kaufen. Dann wenden wir uns – mit einer guten Erdbeer-Limetten-Limonade in der Hand – wieder der Bushaltestelle an der Underwood Ave zu. »Wir haben es geschafft!«
Willkommenes Wiedersehen: Wir sind zurück am Pavillon.
Stationen | Distanz | Differenz | Zeit | |
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Underwood Ave & Evelyn St | ||||
→ Lynn Peak Lookout | +5,5 km | 757 m ↑ | 32 m ↓ | +2h 00m |
→ South Lynn Peak ✝ | +0,5 km | 78 m ↑ | 0 m ↓ | +0h 15m |
→ (North) Lynn Peak ✝ | +1,4 km | 113 m ↑ | 97 m ↓ | +1h 00m |
→ Underwood Ave & Evelyn St | +10,7 km | 118 m ↑ | 937 m ↓ | +3h 45m |
Gesamt | 18,1 km | 1066 m ↑ | 1066 m ↓ | 7h 00m |