Die Rote-Meer-Berge bei Hurghada.

Ägypten

Unterwegs mit Beduinen


13.01.2020 • Autor: bra.


Übersicht

Gemeinsam mit Waleed und Sharief, zwei Beduinen, begebe ich mich auf eine Entdeckungsreise in die Wüste nahe Hurghada. Nach einer kurzen Wanderung in den Rote-Meer-Bergen erzählen mir beide bei Kaffee und selbstgebackenem Brot vom Leben in der Wüste.

Die Vorbereitungsphase

Im Januar 2020, als man noch nichts von der anstehenden Corona-Krise ahnt, reise ich nach Ägypten, um in Hurghada ein wenig Sonne zu genießen. Da ich jedoch zehn Tage im Hotel ohne Wanderung kaum aushalte, informiere ich mich zuvor bereits über Wandermöglichkeiten in der Umgebung. Zu meinem Überraschen stoße ich auf den Red Sea Mountain Trail. Dieser wurde erst im April 2019 eröffnet und erschließt das Gebirge bei Hurghada. Mit einer Strecke von bis zu 170 Kilometern ist er der erste ägyptische Weitwanderweg außerhalb des Sinai.

Auf der Website eines lokalen Anbieters gibt es bereits umfangreiche Informationen über mögliche Touren, Kontaktdaten, und so fort. Ebenso wird gleich darauf hingewiesen, dass die Beduinen, bevor sie mit einer Person lange und anstrengende Wanderungen unternehmen, diese zunächst bei einer kleineren Wanderung »testen« müssen. Sicherheitshalber.

Anfangs habe ich Schwierigkeiten mit der Kontaktaufnahme. Weder per E-Mail noch über Facebook erhalte ich eine Antwort. Vielleicht liegt es daran, dass ich sofort angefragt habe, ob sie eine Tour auf den höchsten Berg der Gegend, den Jebel Shayib El Banat (2187m), anbieten könnten? (Wie sich später herausstellt ist diese Tour aktuell leider nicht machbar, da man von den Behörden zurzeit keine Übernachtungserlaubnis bekommt.)

Ich versuche es also über beide auf der Website angegebenen WhatsApp-Nummern, und jetzt klappt es endlich! Mir antwortet Moustafa, einer der Organisatoren und Ansprechpartner in Hurghada. Wir vereinbaren eine Route und den Preis. Ich buche eine eintägige Wanderung im Gebiet des Jebel Abu Abid (1900m), dem zweithöchsten Berg der Gegend. Moustafa sendet mir alle nötigen Informationen, insbesondere auch die Sicherheitshinweise, und ist immer schnell für kleinere Fragen erreichbar. Er teilt mir auch mit, dass dies erst die zweite privat organisierte Wanderung auf dem Red Sea Mountain Trail sein wird.

Die Wüste ruft!

Die Abholung vom Hotel erfolgt um 07:30 Uhr morgens. Zwei Beduinen namens Waleed und Sharief sollen meine Begleiter sein. Waleed ist der Sohn des Stammesführers der lokalen Beduinen, der Fahrer namens Sharief sein Onkel. Sie sind mit typischer langer Kleidung und Kopfbedeckung bekleidet.

Da sich mein Arabisch noch im Anfangsstadium befindet, behelfen wir uns mit etwas Englisch und Deutsch. Waleed teilt mir mit, dass er einer der wenigen im Stamm ist, die auf die Schule in Hurghada gingen und dadurch Fremdsprachenkenntnisse sammeln konnte.

Unser Auto ist ein Jeep mit zwei Sitzen für Fahrer und Beifahrer und hinten zwei Bänken, die längs des Autos ausgerichtet sind. Ich habe also keinen Gurt und sitze auf einer der großen Bänke, während mein Rucksack die gegenüberliegende Bank säumt.

Zunächst geht es über die Autobahn aus Hurghada hinaus, dann biegen wir auf eine namenlosen Wüstenstraße ab. Vor mir ist nun nur die flache Landschaft der Arabischen Wüste zu sehen. Es ist sonnig, aber auch sehr diesig aufgrund der hohen Sanddichte in der Luft. Der Jeep fliegt über den Sand. Es geht schnell voran.

Eine Jeep-Fahrt durch die Arabische Wüste bei Hurghada.

Gemeinsam mit Sharief und Waleed geht es hinein in die Wüste bei Hurghada.

Plötzlich tauchen vor uns die Umrisse der Rote-Meer-Berge auf — zunächst nur schemenhaft zu erkennen, dann immer größer werdend und deutlicher, bis wir von ihnen verschlungen werden.

Wir fahren in ein erstes »Wadi« hinein, wie die trockenen Flusstäler in der Sprache der Beduinen genannt werden, und kommen sogar an einem breiten, aber relativ flachen Staudamm vorbei. Dieser soll im Winter das spärliche Regenwasser auffangen. Momentan ist der Staudamm jedoch leer.

Bildergalerie: Ägypten

Die Oase

Während der Fahrt erläutert mir der Sohn des Sheiks, Waleed, die Lebensweise der Beduinen. Er erzählt, dass es in den Bergen um uns herum eine einzige Beduinenfamilie gäbe, mit mehr als 1000 Familienmitgliedern, und dass sie ihr Wissen über Erzählungen weitergeben. Sie lernen von den Älteren. Er streife beispielsweise oft mit dem Familienältesten durch die Berge, wo ihm dieser seine Verwandten vorstelle und die Natur erläutere. Da sie es nicht aufschreiben, ist das gesamte Wissen bei diesen Ältesten gesammelt und wird von Generation zu Generation weitergegeben.

Einsame Akazien in der Arabischen Wüste bei Hurghada.

Verlassen stehen zwei einsame Akazien in der kargen Wüstenlandschaft.

In der Zwischenzeit haben wir wieder die Wüste erreicht, fahren von den Bergen weg, vorbei an ein paar einsamen Bäumen, bevor es schließlich in den nächsten Wadi hineingeht.

Als nächster Zwischenstopp steht eine traumhafte Oase auf dem Plan. Von fernem sehe ich inmitten der schroffen, gelbrötlichen Berge bereits die grünen Palmen. Als wir schließlich aussteigen, ist es ganz still. Es geht kein Wind und es ist wirklich kein Geräusch zu hören. Einfach entspannend!

Eine Oase in der Wüste bei Hurghada.

Unser nächstes Ziel ist eine malerische, von Palmen gesäumte Oase.

Das Wasser der Oase ist grün und wird insbesondere dazu verwendet, die Kamele zu versorgen. Ich wandere ein paar Minuten umher, genieße diese wundersame Stille sowie die schöne Landschaft um mich herum. Das ist es, was ein Urlaub für mich haben muss! Nicht ein langweiliges Hotel mit zu viel Essen…

Als wir kurz darauf wieder weiterfahren, treffen wir auf eine Dromedar-Herde. Unser Fahrer steigt aus und begrüßt die zutraulichen Tiere, streichelt ihnen um das Gesicht. Berührungsängste? Fehlanzeige! Anscheinend kennen sie ihn bereits sehr gut.

Dromedare in der Wüste bei Hurghada.

Der Kamel-Flüsterer: Sharief freundet sich mit ein paar Dromedaren an.

Lehrstunden

Mittlerweile sind wir tief in die Berge vorgedrungen. Sie scheinen um einiges höher, und sind deutlich näher. Es ist ein beeindruckender Anblick: der hellgelbe Sand am Boden, rotbraune Berge um einen herum.

Mir fällt auch ohne Arabischkenntnisse auf, dass meine beiden Begleiter häufig über das sprechen, was sie auf dem Weg sehen. Es wird deutlich, wie die Beduinen ihr Wissen weitergeben: der erfahrenere und ältere Onkel erläutert seinem Neffen die Umwelt. Zum Beispiel spricht er über einen Busch, analysiert bei einer Pause die umliegende Landschaft, und gibt allerlei sonstige Informationen an Waleed weiter. Kurze Diskussionen ergeben sich daraus. Mir wird wiederum gezeigt, wie Beduinen Zweige eines bestimmten Busches, des Miswāk, als Zahnbürste verwenden.

Die Rote-Meer-Berge bei Hurghada.

Fasziniert studiere ich die malerische Gebirgslandschaft der Rote-Meer-Berge.

Als wir in das nächste Wadi hineinfahren — ich habe mittlerweile leicht den Überblick verloren — sehen wir ein erstes einfaches Beduinenzelt mit zwei Beduinen davor. Wir bleiben jedoch nicht stehen, sondern fahren weiter. Je weiter wir in die Berge hineinkommen, desto häufiger stoßen wir auf einzelne, abgelegene Zelte, häufig ohne die Anwesenheit von Menschen wahrzunehmen.

Mittagessen im Wadi

In einem großen und breiten Tal, dem Wadi Elwuadi, machen wir eine kleine Pause und eine kurze Wanderung bergauf zu einem kleinen künstlichen Wasserbecken, das die Beduinen in eine Bergspalte am Rande des Tales eingebaut haben. Waleed besteigt beschwingt und in beeindruckender Geschwindigkeit die relativ steile Wand über dem Wasserbecken, das gut gefüllt ist. Dabei hat er ganz einfache Schuhe an, mit denen man in Europa niemals eine Wanderung antreten würde. Man merkt an der Art und Leichtigkeit der Bewegungen, dass er hier viel Erfahrung hat und sich sein gesamtes bisheriges Leben in dieser Umgebung bewegt hat. Mir gibt er genug Zeit, zu ihm aufzuschließen und teilt mir immer mit, vorsichtig zu sein. »Careful, be careful« und »We have time, no worries« sind wohl die am meisten gesprochenen Sätze.

Ein Wasserbecken in der Wüste bei Hurghada.

Ein Juwel in der Wüste: Waleed führt mich zu einem smaragdgrünen Wasserbecken.

Auf der anderen Seite des Tals ist wieder einmal ein Beduinenzelt zu sehen. Waleed erläutert mir, dass das Zelt zwar heute hier stehe aber bereits am nächsten Morgen weitergewandert sein könne. Beduinen würden nicht lange an einem Ort verweilen.

Wir genießen die Ruhe, die nur durch das Zwitschern eines einsamen Vogels durchbrochen wird. Dann kehren wir zum Auto zurück und fahren weiter, bis zum Ende des befahrbaren Tales, wo wir den Jeep abstellen und ein leckeres Mittagessen einnehmen. Es gibt Käse, Oliven, Thunfisch, selbstgebackenes Brot und selbstgemachten Kaffee. Wasser trinken wir aus normalen Plastikflaschen, da das Grundwasser für Europäer nicht genießbar ist.

Eine Brotzeit im Stil der Beduinen.

Bevor wir gleich loswandern, richten die Beduinen eine schmackhafte Brotzeit an.

Der Höhepunkt

Dann geht die Wanderung los! Es ist nun zirka 11:30 Uhr. Meine Begleiter nehmen jeweils eine 0,5-Liter-Wasserflasche mit und wundern sich, dass ich gleich einen Rucksack anlege. Waleed erläutert mir, dass sie normalerweise nur mit ein paar Wasserflaschen in ihren Hosentaschen umherwandern. Jetzt, im Winter, ist es sogar möglich, mittags zu wandern. Im Sommer ginge so etwas aufgrund der Hitze natürlich nicht.

Wir betreten ein kleines Tal und springen über einige große Steine hinweg. Nach etwa zehn Minuten erläutert Sharief Waleed den weiteren Weg. Dieser zweigt nach links ab, steil auf einen Grat hinauf, und weiter bis zu einem kleinen unbenannten Gipfel im Schatten des Jebel Abu Abid (1900m). Sharief bleibt beim Auto, Waleed begleitet mich auf der Rundwanderung.

Ein schattiges Tal beim Jebel Abu Abid.

Zunächst folge ich meinen Führern durch ein schattiges Tal.

Je höher wir aufsteigen, desto mehr ist zu sehen. Vor uns erstreckt sich schon bald eine ausgedehnte Berglandschaft mit sandigen Tälern zwischen den felsigen Bergen.

Wir steigen weiter auf. Das schroffe und scharfe Gestein unter meinen Füßen ist sehr locker und ich rutsche mehrmals fast weg. Umso mehr beeindruckt mich das einfache Schuhwerk meines Begleiters, der ohne erkennbare Probleme geschwind vorangeht.

Bald stehen wir auf dem Vorgipfel des Jebel Abu Abid (1900m), gleichzeitig im wahrsten Sinne des Wortes der Höhepunkt der Wanderung. Weit entfernt im Norden ist unser Auto zu sehen. Ebenso ist Sharief im schroffen Gelände auszumachen. Im Westen und Osten sind die hohen Bergmassive zu sehen, und im Süden ein weiteres Tal.

Waleed auf dem Vorgipfel des Jebel Abu Abid.

Unser Ziel, der Vorgipfel des Jebel Abu Abid, ist erreicht.

Gipfelgespräche

Waleed und ich machen eine ausgiebige Pause, essen und trinken, und genießen die Aussicht auf beide Täler. Die Sonne steht hoch, und wir sind von Bergen umringt. Tief im zweiten Tal ist ein weiteres Beduinenzelt zu erkennen. Es ist eine ganz besondere und atemberaubende Schönheit.

Ruhe, Freiheit, Sonne — ich fühle mich hier, abseits der Zivilisation, ausgesprochen wohl. Mit Waleed komme ich ein wenig ins Gespräch über das Leben. Er bestätigt, dass er nicht in einer Stadt leben wollen würde und ihn bei Besuchen Ägypter häufig fragen würden, wie er hier im Nirgendwo nur leben könne. Er erwidere darauf immer: »Wie kann man nur in Kairo leben? So viele Menschen, keine Ruhe und wenn man Reis in die Luft werfen würde, fällt er nicht auf den Boden, sondern nur auf umherhetzende Menschen.« Er bevorzuge das ruhige Leben. Ich kann ihn voll verstehen, wir liegen auf einer Wellenlänge.

Die Rote-Meer-Berge bei Hurghada.

Beim Blick über die umliegenden Berge kommen Waleed und ich ins Gespräch.

Ebenso erzählt er, dass er in der Wüste riechen könne, was die Beduinen im Zelt ein paar Kilometer entfernt essen würden. Auch seien manchmal Gespräche über weite Distanzen zu hören, wenn kein Wind gehe. So gut seien die Sinne hier aufgrund der fehlenden menschlichen Einflüsse ausgeprägt.

Der Abstieg

Nachdem wir uns an der Landschaft sattgesehen haben und wieder etwas zu Kräften gekommen sind, gehen wir über einen anderen Weg zurück. Sobald wir wieder im Tal verschwinden, ist vom Wind nichts mehr zu hören und es legt sich erneut diese unbeschreibliche, vollkommene Stille auf uns hernieder. Wir gehen und kraxeln zurück, denn einen ausgebauten Wanderweg gibt es hier nicht. Ich frage Waleed, wie es mit Übernachtungen im Freien hier sei. Er erläutert, dass so etwas aktuell von den Behörden für Touristen noch nicht freigegeben sei. Grundsätzlich machen Beduinen Feuer wegen der Schlangen, die unter dem Sand normalerweise auf Beute lauern. Deshalb sollte man auch immer, bevor man sich irgendwo hinsetze, mit den Füßen den Sand aufwühlen, um nicht unangenehme Überraschungen zu verspüren.

Der Abstieg vom Vorgipfel des Jebel Abu Abid.

Über eine andere Route kehren wir zurück zu unserem Wagen.

Als wir zurück am Auto sind, reden wir bei einer weiteren Brotzeit — diesmal mit Kaffee — über Unterschiede in den Kulturen. So werde ich gefragt, wie die Menschen in Deutschland leben, wie dort die Berge aussehen, und ob wir tatsächlich nur eine Frau haben dürfen. Ich zeige noch einige Fotos von den Alpen aus früheren Wanderungen, was für die Beduinen sichtlich beeindruckend ist.

Eine Beduinen-Brotzeit in den Bergen bei Hurghada.

Nach der anstrengenden Wanderung tanken wir noch einmal neue Kräfte.

Die Melancholie des Abschieds

Um 15 Uhr machen wir uns schließlich auf den Rückweg. Während der Fahrt werde ich etwas durchgeschüttelt, da wir sehr schnell über das Wüstengelände brettern. Wir müssen bis zum Sonnenuntergang zurück in Hurghada sein — dieser ist um 17 Uhr — und der Weg ist lang.

Als wir die Berge verlassen, senkt sich die Sonne bereits dem Horizont entgegen und offenbart nun hinter uns liegend ein beeindruckendes Bergpanorama. Vor uns sehen wir in der Ferne bereits die Stadt, deren Gebäude rot im abendlichen Sonnenlicht leuchten. Je weiter wir von den Bergen wegfahren, desto melancholischer werde ich. Es war ein traumhafter Tag — der Sonnenuntergang unterstreicht dies und ist ein perfekter Abschluss. Ein wenig beneide ich die Beduinen ob ihrer entspannten und ruhigen Umgebung und natürlichen Lebensweise. Aber nach diesem Tag ist mir auch klar: Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich in Ägypten eine Wanderung mit Beduinen mache! Ich träume jetzt bereits von der Möglichkeit, die Ruhe in der Wüsten im Freien zu genießen, unter einem atemberaubenden Sternenhimmel zu biwakieren, und am Lagerfeuer ein gemeinsames Abenteuer mit Beduinen zu genießen.

Abschied von den Bergen bei Hurghada.

Im letzten Licht des Tages geht es zurück nach Hurghada.